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Leben und Schicksal

Leben und Schicksal

Titel: Leben und Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Grossman
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kann ich die Anmeldung nicht genehmigen.«
    »Aber ich arbeite doch für eine Militärbehörde«, sagte Genia.
    »Das geht aus Ihrer Arbeitsbescheinigung nicht hervor.«
    »Würde es helfen?«
    »Vielleicht«, antwortete er widerwillig.
    Am folgenden Morgen im Büro teilte sie Risin mit, dass man ihr die Anmeldung verweigert hatte. Risin machte eine hoffnungslose Geste mit den Händen und sagte mit seiner summenden Stimme: »Diese Idioten! Begreifen die denn nicht, dass Sie uns vom ersten Tag an unentbehrlich geworden sind? Dass Sie für Arbeiten eingesetzt werden, die der Landesverteidigung dienen?«
    »Das ist es ja eben«, rief Genia. »Er sagt, er braucht eine Bescheinigung, dass unser Büro dem Volkskommissariat für Landesverteidigung untersteht. Ich bitte Sie inständig, stellen Sie mir eine aus, ich gehe dann noch heute Abend damit zur Miliz.«
    Nach einer Weile trat Risin an Genias Tisch und sagte schuldbewusst: »Die Staatsorgane oder die Miliz müssen von sich aus an uns herantreten. Ohne eine formelle Anfrage darf ich keine derartige Bescheinigung ausstellen.«
    Am selben Abend ging Jewgenia Nikolajewna wieder zur Miliz, wieder reihte sie sich in die Schlange ein, und als sie endlich vorgelassen wurde, bat sie Grischin mit einem einschmeichelnden Lächeln, für das sie sich selbst hasste, eine Anfrage an Risin zu richten.
    »Ich denke gar nicht daran, irgendwelche Anfragen zu stellen«, erklärte Grischin.
    Als Risin von Grischins Weigerung hörte, seufzte er und sagte nachdenklich: »Wissen Sie was, bitten Sie ihn doch, wenigstens telefonisch bei mir anzufragen.«
    Am Abend darauf war Genia mit Limonow, einem Moskauer Literaten, verabredet, der einst mit ihrem Vater bekannt gewesen war. Gleich nach der Arbeit ging sie zur Miliz. Sie bat die Wartenden, ihr zu erlauben, »wirklich nur für eine Minute« beim Vorsteher der Passstelle hereinzuschauen, um eine einzige Frage an ihn zu richten. Die Leute zuckten die Achseln und vermieden es, sie anzusehen.
    »Schon gut«, sagte Genia gekränkt. »Wer von Ihnen ist der Letzte?«
    Diesmal waren die Eindrücke, die sie vom Revier mitnahm, besonders deprimierend. Eine wassersüchtige Frau mit aufgetriebenen Beinen bekam beim Vorsteher der Passstelle einen hysterischen Anfall und schrie immer wieder: »Ich flehe Sie an! Ich flehe Sie an!« Ein Invalide ohne Arme schimpfte unflätig in Grischins Büro. Auch der Mann, der nach ihm vorgelassen wurde, tobte, und man hörte ihn brüllen: »Nein, ich geh nicht!« Aber er ging sehr schnell. Nur Grischin hörte man nicht bei all diesem Lärm, er hob kein einziges Mal die Stimme, man konnte meinen, er sei gar nicht da und die Leute beschimpften und drohten sich selbst.
    Jewgenia Nikolajewna musste anderthalb Stunden warten, und wieder hasste sie sich für ihre freundliche Miene, für das hastige »Danke schön!«, mit dem sie Grischins durch ein kurzes Kopfnicken angedeutete Aufforderung, Platz zu nehmen, beantwortete, und wieder bat sie Grischin, ihren Chef anzurufen. Risin waren anfangs Zweifel gekommen, ob er dazu berechtigt sei, die erforderliche Bescheinigung ohne schriftliche, mit Aktennummer und Stempeln versehene Anfrage zu erteilen, hatte dann aber schließlich eingewilligt – er würde sie mit den Worten einleiten: »In Erwiderung Ihrer mündlichen Anfrage vom Soundsovielten …«
    Jewgenia Nikolajewna legte einen vorbereiteten Zettel vor Grischin auf den Schreibtisch. Darauf hatte sie mit großer, überdeutlicher Schrift Risins Telefonnummer, Namen und Vatersnamen notiert und ganz klein in Klammern hinzugefügt: Mittagspause von … bis … Ohne den Zettel eines Blickes zu würdigen, sagte Grischin: »Ich denke gar nicht daran, irgendwelche Anfragen zu stellen.«
    »Ja, aber – warum denn nicht?«, fragte sie.
    »Das ist nicht meine Aufgabe …«
    »Oberstleutnant Risin sagt, ohne eine Anfrage, und sei sie auch nur mündlich, dürfe er keine Bescheinigung ausstellen.«
    »Wenn er’s nicht darf, soll er’s eben bleibenlassen.«
    »Aber was wird aus mir?«
    »Wie soll ich das wissen?«
    Grischins Gelassenheit brachte Genia völlig aus der Fassung.
    Sie hätte das Ganze leichter ertragen, wenn ihre Unbelehrbarkeit ihn ärgern oder aus der Ruhe bringen würde. Aber stattdessen saß er da, kehrte ihr halb den Rücken zu und runzelte nicht einmal die Stirn, zeigte nicht die geringste Ungeduld.
    Wenn Männer sich mit Jewgenia Nikolajewna unterhielten, bemerkten sie stets, dass sie schön war. Sie spürte das immer.

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