Lebendig und begraben
mit einer mürrischen Miene zu überspielen. Sie setzte sich in einen großen Sessel, schlug die Beine übereinander und hakte dann noch den Fuß des oberen Beins hinter die Wade des unteren. Die Arme hatte sie verschränkt und die Schultern hochgezogen. Wäre sie eine Schildkröte gewesen, wäre sie tief in ihrem Panzer verschwunden.
Ich saß ihr auf einem Stuhl gegenüber, während Senator Armstrong durch eine Lesebrille Dokumente an seinem schlichten Mahagonischreibtisch durchsah und so tat, als würde er uns ignorieren.
Das Mädchen war hübsch, sehr hübsch sogar. Sie hatte schwarzes, offensichtlich gefärbtes Haar und sehr viel Augen-Make-up aufgelegt. Sie kleidete sich wie ein böses, reiches Mädchen, was sie offenbar auch war. Sie ging in dieselbe Besserungsanstalt für reiche Mädchen im Westen, auf der auch Alexa ein Jahr verbracht hatte. Sie trug ein braunes Wildleder-Tanktop mit einer Halskette aus dicken Türkisen, fadenscheinige Jeans und kurze braune Lederstiefel.
Sie betrachtete den alten Perserteppich und sagte kein Wort. Ich stellte mich vor. »Ich würde Ihnen gerne ein paar Fragen über Alexa stellen«, sagte ich.
Die Muster in dem Teppich schienen sie zu faszinieren.
»Alexa ist verschwunden«, fuhr ich fort. »Ihre Eltern sind außerordentlich besorgt.«
Sie blickte trotzig hoch, und einen Moment sah es so aus, als wollte sie etwas sagen. Doch dann änderte sie offensichtlich ihre Meinung.
»Haben Sie etwas von ihr gehört?«, versuchte ich es weiter.
Sie schüttelte den Kopf. »Nein.«
»Wann haben Sie Alexa denn das letzte Mal gesehen?«
»Gestern Nacht. Wir sind ausgegangen.«
Ich war froh, dass sie in diesem Punkt nicht log. Vielleicht hatte ihr Vater sie allerdings auch geimpft, als er hochgegangen war, um sie zu holen.
»Wollen wir ein Stück spazieren gehen?«, schlug ich ihr vor.
»Spazieren gehen?« Sie wirkte angewidert, als hätte ich ihr gerade angetragen, einer lebendigen Fledermaus den Kopf abzubeißen.
»Klar. Ein bisschen frische Luft schnappen.«
Sie zögerte. »Ihr beide könnt euch auch hier unterhalten«, sagte ihr Vater, ohne von seinen Unterlagen hochzublicken.
Ein paar Sekunden lang merkte man ihrer Miene an, dass sie in der Falle saß. »Ich hätte nichts dagegen, ein bisschen herauszukommen«, meinte sie schließlich zu meiner Überraschung.
Vom Louisburg Square aus überquerten wir die Mount Vernon Street und gingen dann den steilen Hang der Willow Street hinab. »Ich dachte mir, dass Sie eine Zigarette gebrauchen könnten.«
»Ich rauche nicht.«
Ich hatte jedoch an ihr gerochen, dass das nicht stimmte, als sie heruntergekommen war. »Machen Sie ruhig, ich werde es Daddy schon nicht verraten.«
Ihre Miene wurde unmerklich weicher. Schließlich zuckte sie mit den Schultern und nahm eine Packung Zigaretten sowie ein goldenes Dupont-Feuerzeug aus ihrer kleinen, schwarzen Handtasche.
»Ich werde Daddy nicht einmal etwas über die falschen Ausweise erzählen«, sagte ich.
Sie warf mir einen kurzen Seitenblick zu, als sie den Deckel des Feuerzeugs mit diesem charakteristischen Pling öffnete. Sie zündete sich eine Zigarette an und inhalierte tief.
»Man bekommt erst ab einundzwanzig etwas zu trinken«, sagte ich. »Also, wie sonst wollen Sie hier in der Gegend an einen Drink kommen?«
Sie stieß den Rauch durch ihre Nase aus wie eine Stummfilm-Diva, sagte jedoch nichts.
Ich machte weiter. »Ich habe Ausweise für meine Freunde und mich gefälscht, als ich ein Junge war. In der Dunkelkammer der Schule. Einige meiner Freunde haben sich sogar internationale Studentenausweise von mir besorgen lassen.«
»Nicht schlecht.«
»Es muss heute viel leichter sein, mit den Scannern und Photoshop und dergleichen.«
»Es ist schwerer«, widersprach Taylor. »Viel schwerer. Auf dem Führerschein und solchen Ausweisen sind Hologramme. Es ist viel einfacher, einer Freundin einen Ausweis abzukaufen.«
Wir gingen hinüber nach West Cedar und in eine winzige Gasse namens Acorn Street. Die Straße war mit Steinen gepflastert, die man vor langer Zeit dem Charles River abgerungen hatte.
»Warum wollte Ihr Dad nicht, dass Sie mit mir reden?«
Sie zuckte mit den Schultern.
»Keine Ahnung?«
»Warum glauben Sie wohl?«, erwiderte sie dann verbittert. »Weil er der
Senator
ist. Es geht immer nur um seine Karriere.«
»Soll heißen, Senatorentöchter dürfen sich nicht amüsieren?«
Sie lachte freudlos. »Soweit ich gehört habe, hat er sich ziemlich
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