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Lebendig und begraben

Lebendig und begraben

Titel: Lebendig und begraben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Finder Joseph
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Helfer? Wirklich? Hm. Was bauen Sie denn da?
    Er hatte die gesamte Ausrüstung bar bezahlt. Der Schaufelbagger kam von einem Landmaschinen-Geschäft in Biddeford und der Kompressor aus einem Haushaltswarenladen in Plaistow. Den Sarg hatte er bei einem Sarggroßhandel in Dover ausgesucht. Er hatte etwas von einem Familiengrab erzählt. In doppelter Tiefe. Und dass sein leider verstorbener Onkel der Erste wäre, der hinein müsste. Bei einer Tiefe von dreieinhalb Metern brauchte er absolute Sicherheit, dass nichts eingedrückt werden würde.
    Das Stabilste, was sie hatten, war ein Sarg aus zwei Millimeter starkem Karbonstahl, mausgrau gestrichen, aus der XXL-Serie. Die Amerikaner wurden immer fettleibiger, deswegen verkauften sich übergroße Särge gut, und er musste sich mit einem Ausstellungsstück zufriedengeben.
    Grundwassereinbrüche stellten immer ein Problem dar, selbst bei perfekt verarbeiteten Särgen, was dazu führen konnte, dass das Mädchen langsam ertrank, bevor sie mit ihr fertig waren. Das wäre nicht sinnvoll. Zum Glück war das Modell, das er erworben hatte, gegen Wasser abgedichtet. Am Ende des Kastens musste man eine Kurbel drehen, um ihn zu versiegeln. Dann schob sich ein Stahlband über den Deckel, um ihn fest zu verschließen. Das war alles Standardausstattung, ganz so, als ob auch im 21. Jahrhundert Grabräuber noch immer ein Problem darstellten.
    Der Umbau war schnell gemacht, es war Mechanikerarbeit, wie er sie schon immer gern erledigt hatte. Mit einem Kobalt-Bohrer bohrte er dort ein Loch in den Karbonstahl, wo sich der Kopf des Mädchens befinden würde. Dann schweißte Dragomir ein Anschlussstück an diese Stelle und verband es mit einem knickfesten Schlauch, der über einhundert Meter weit bis zu dem Kompressor auf der Veranda führte. Jedes Mal, wenn der Kompressor ansprang, würde Luft durch den Schlauch strömen. Das geschah stündlichjeweils für mehrere Minuten … bei Tag und bei Nacht, weil der Kompressor über eine Zeitschaltuhr gesteuert wurde. Er verlegte den Schlauch zusammen mit dem Netzwerkkabel im Boden. In das andere Ende des Sarges schnitt er mit der Lochsäge ein viel größeres Loch. Dort schweißte er eine Messingmuffe an, an der er das Abluftrohr befestigte. Nun schaute das graue PVC-Rohr mitten im Acker aus der Erde wie ein einzelner Baumschössling. An seinem Ende beschrieb das Rohr eine Kurve ähnlich einem Regenschirmgriff. So etwas benutzte man auf Deponien, um das Methangas abzuleiten, das sich unterirdisch bildete.
    Auf diese Weise würde das Mädchen stetig mit Frischluft versorgt werden, und das war mehr, als sein Vater gehabt hatte, als er in dem Kohlebergwerk in Tomsk verschüttet worden war. Als kleiner Junge hatte Dragomir immer gern seinem Vater und den anderen Minenarbeitern zugeschaut, wenn sie rückwärts in der Bergbahn Hunderte von Metern in die Tiefe fuhren. Dragomir hatte immer wieder darum gebeten, einmal mitfahren zu dürfen, aber sein Vater hatte es ihm jedes Mal verweigert.
    Jede Nacht, wenn sein Vater nach Hause kam, war er so dick mit schwarzem, verkrustetem Staub bedeckt, dass man nur noch seine Augen sehen konnte. Das Husten des Vaters hielt Dragomir viele Nächte lang wach. Kohleabbau, erzählte er Dragomir einmal, war der einzige Job, bei dem man sich sein Grab selbst schaufelte.
    Dragomir lauschte hingerissen den Erzählungen seines Vaters. Wie der einmal gesehen hatte, wie die Decke auf einen Freund von ihm heruntergestürzt war und ihm das Gesicht zerschmettert hatte. Oder wie er einmal beobachtete, wie eine Kohlenlore einen Mann in zwei Hälften schnitt. Einmal geriet jemand in das Mahlwerk des Kohlenzerkleinerers und wurde von seinen Zähnen in Stücke gerissen.
    Seine Mutter Dusya war böse auf den Vater, weil er dem Jungen solche Horrorgeschichten in den Kopf setzte. Aber Dragomir wollte immer mehr davon hören.
    Dragomir war fast schon zehn, als diese Gute-Nacht-Geschichten aufhörten.
    Es klopfte mitten in der Nacht an der Tür der Wohnung. Seine Mutter stieß einen hohen, dünnen Schrei aus. Sie nahm ihn mit zum Bergwerk, um sich der Menge anzuschließen, die dort schon versammelt war und um Nachrichten bettelte, ganz gleich welcher Art, selbst wenn es schlechte waren.
    Dragomir war fasziniert. Er wollte wissen, was passiert war, aber keiner wollte es ihm sagen. Er schnappte nur Bruchstücke auf. Darüber, wie die Bergarbeiter versehentlich einen längst aufgegebenen, gefluteten Schacht angegraben hatten. Und dass es einen

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