Lebens-Mittel
scheint und an der DNS Einzel- oder Doppelstrangbrüche, oxidative Läsionen oder beides verursacht« – Vorläufer von Krebs. »Das hat gravierende Implikationen, denn möglicherweise hat die Hälfte der US-Bevölkerung bei mindestens einem dieser Mikronährstoffe ein Defizit.« Die meisten fehlenden Mikronährstoffe werden von Obst und Gemüse zur Verfügung gestellt, aber nur 20 Prozent der amerikanischen Kinder und 32 Prozent der Erwachsenen essen davon die empfohlenen fünf Portionen täglich. Die von Ames identifizierten Zellmechanismen könnten erklären, warum eine Ernährung mit viel Gemüse und Obst einen gewissen Schutz vor bestimmten Krebsarten zu bieten scheint.
Ames glaubt auch – obwohl er das noch nicht bewiesen hat -, dass Mikronährstoffmängel zu Fettleibigkeit beitragen können. Er nimmt an, dass ein Körper, dem entscheidende Nährstoffe fehlen, in der Hoffnung, diese zu bekommen, immer weiter isst. Das Fehlen dieser Nährstoffe in der Ernährung könnte »das normale Sättigungsgefühl unterbinden, das sich nach einer ausreichenden Kalorienaufnahme einstellt«, und der unverminderte Hunger könnte »eine biologische Strategie sein, die fehlenden Nährstoffe zu bekommen«. Wenn Ames recht hat, ist einem Nahrungssystem, das sich eher um Quantität als um Qualität dreht, eine destruktive Rückkoppelungsschleife eingebaut: Je mehr minderwertige Nahrung man isst, desto mehr will man essen, denn man sucht – vergeblich – nach dem fehlenden Nährstoff.
4) Von den Blättern zu den Samen
Es ist kein Zufall, dass die kleine Handvoll Pflanzen, auf die wir inzwischen bauen, Getreide sind (Soja ist ein Gemüse); diese Nutzpflanzen wandeln das Sonnenlicht, den Dünger, Luft und Wasser besonders effizient in Makronährstoffe um – in Kohlenhydrate, Fette und Proteine. Diese Makronährstoffe wiederum lassen sich gewinnbringend in Fleisch, Milchprodukte und weiterverarbeitete Nahrungsmittel aller Art transformieren. Weil die genannten Gewächse haltbare Samen haben, die lange lagerfähig bleiben, leisten sie verarbeitet und unverarbeitet gute Dienste und sind deshalb an die Bedürfnisse des industriellen Kapitalismus besonders gut angepasst.
Der menschliche Esser jedoch hat ganz andere Bedürfnisse. Eine Überversorgung mit Makronährstoffen wie die, mit der wir es heute zu tun haben, stellt schon an sich eine ernsthafte Bedrohung unserer Gesundheit dar – die hochschnellenden Zahlen für Fettleibigkeit und Diabetes zeigen es. Aber wie die Forschungen von Bruce Ames und anderen nahelegen, könnte die Unterversorgung mit Mikronährstoffen ein genauso gravierendes Problem sein. Simpel formuliert: Wir essen wesentlich mehr Samen und wesentlich weniger Blätter (die Tiere, die wir essen, übrigens auch) – eine Verschiebung der Ernährungstektonik, deren Auswirkungen wir erst jetzt ansatzweise verstehen. Um noch einmal das reduktionistische Vokabular der Wissenschaft zu bemühen, die sich auf die Nährstoffe konzentriert: Blätter liefern eine ganze Reihe entscheidender Nährstoffe, die eine aus raffinierten Samen bestehende Nahrung dem Körper nicht geben kann: Antioxidanzien und sekundäre Pflanzenstoffe, Ballaststoffe und die essenziellen Omega-3-Fettsäuren in den Blättern, die sich, wie manche Forscher glauben, als der wichtigste fehlende Nährstoff von allen erweisen könnten.
Die meisten Menschen assoziieren Omega-3-Fettsäuren mit Fisch, aber die Fische bekommen sie im Allgemeinen von grünen Pflanzen (insbesondere Algen); sie sind die Ausgangssubstanz. 26 Pflanzenblätter produzieren diese essenziellen Fettsäuren (essenziell deshalb, weil unser Körper sie nicht selbst herstellen kann) als Teil der Fotosynthese; sie besetzen die Zellmembranen der Chloroplasten und helfen ihnen, das Sonnenlicht zu sammeln. Bei den Samen überwiegt eine andere Fettsäuren-Art, die Omega-6-Fettsäuren, die als Energiespeicher für den sich entwickelnden Keimling dienen. Diese beiden Arten mehrfach ungesättigter Fette erfüllen in der Pflanze – und im Pflanzenesser – ganz unterschiedliche Aufgaben. Bei der folgenden Beschreibung ihrer jeweiligen Rollen habe ich die chemischen Prozesse leicht vereinfacht. Eine vollständigere (und faszinierende) Darstellung der Biochemie dieser Fette und ihre Entdeckungsgeschichte finden Sie in The Queen of Fats von Susan Allport. 27
Die Omega-3-Fettsäuren scheinen eine wichtige Rolle zu spielen für die neurologische Entwicklung und Verarbeitung (die höchsten
Weitere Kostenlose Bücher