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Lebensabende & Blutbaeder

Lebensabende & Blutbaeder

Titel: Lebensabende & Blutbaeder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Rebhandl
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ansteht?
    Da merkt er, wie ihm der Hirsch schön langsam ganz gewaltig auf die Nerven geht, weil der einfach nicht aufhört, ihn mit seinen großen braunen und verweinten Augen anzuschauen. Was will er ihm denn sagen? Dass er sogar im Todeskampf auf der Straße liegend noch besser dasteht als er selbst? Dass das Hirschgeweih auf seinem Schädel sogar komplett verbogen noch besser ausschaut als sein Steirerhut? Dass im Wald drinnen eine trächtige Hirschkuh auf ihn wartet, wohingegen er selbst ...
    „Da kann sie heute lange warten!“, sagt der Biermösel auf einmal eingeschnappt zum Hirschen, setzt sich auf die Triumph und tritt entschlossen den Kickstarter.
    Dann zieht er die Glock aus seinem Halfter und schießt -Habe die Ehre! – den Hirschen mit seinem ehedem prächtigen Geweih per Gnadenschuss endgültig über den Haufen.
    Sollen doch andere auch einmal alleine schlafen müssen!

Was vom Menschen übrig bleibt
    Setz Kinder in die Welt, sie werden es dir nicht danken!
    Solcherart verbittert, bereut der alte Biermösel seit ihrer Geburt jeden Tag, dass er selbst Kinder in die Welt gesetzt hat. Seit ihn nämlich sein Rotzbub damals nach der Zehenamputation infolge Alkohol- und Tabakmissbrauchs (plus den Zucker als Draufgabe!) vom Krankenhaus unten in Gmunden herauf ins Siechenheim nach Goisern gebracht hat, hat er nichts mehr von ihm gehört.
    Der Zucker war und ist das Grundproblem vom alten Biermösel, die Grundfeste allen Übels, gewürzt mit einigen Nebenproblemen, die es auch ganz schön in sich haben. Er hat also im Grunde nur darauf warten müssen, dass ihm die Götter in Weiß früher oder später alles abschneiden, nur die imposante Nase haben sie ihm noch dran gelassen. Mit der kann er jetzt den Marillenschnaps riechen, der sich im ganzen Siechenheim ausbreitet und so für ein paar Augenblicke die Gerüche des Alters vertreibt, den beißenden Duft des Todes.
    Eine wirkliche Überraschung ist das jetzt für den alten Biermösel, dass sein Bub doch noch einmal auftaucht. Keine Überraschung ist es freilich, dass er komplett besoffen ist und den Grasmuck mit sich im Schlepptau hat. Den Grasmuck hat er nie mögen. Der ist keine Gendarmerie in seinen (herausgeschnittenen) Augen. Der war nie ein aufrechter Sozialist, eher ist der ein Klerikaler.
    Eine abenteuerliche Fahrt war das damals auf der Fips, erinnert sich der alte Biermösel mit Grausen an den Tag, an dem er hier einziehen hat müssen. Ein Fingerzeig für das kommende Elend war dieser Ritt, wie er in der Rückschau sagen muss. Aber wie lange ist es her?
    So sehr er sich auch bemüht, die verlorenen Jahre zu finden – es will ihm nicht mehr gelingen. Seit er auf Knien in der Dämmerung von seinem Leben herumkriecht und die verlorene Zeit sucht, tut es auch sein Hirn nicht mehr so wie früher. Der längst vergangene Glanz seines Lebens blättert langsam ab. Kalkablagerungen berieseln die schönen Erinnerungen mit feinem Staub und begraben sie allesamt unter sich. Die Depression tut ein übriges. Sie schmiegt sich mit ihrer schweren Gestalt an seine Seele und rauft dort mit der Einsamkeit um seine Gunst. Nur selten noch vermag er mit dem inneren Auge im Buch seines einstigen Ruhmes zu blättern.
    Doch heute zieht er es sowieso vor, die Tabletten zu nehmen und zu schlafen, der leise Dämmer ist sein Exil. Manchmal noch schiebt ihn der Siechenheimgärtner Georgij aus Berg-Karabach hinaus in den Garten, aber immer häufiger sträubt er sich dagegen. Er sieht ja nichts mehr, seit sie ihm vor drei Monaten die Augen auch noch herausgeschnitten haben. Darum ist der Marillenschnaps eine willkommene Wiedererkennungshilfe. Er riecht obendrein gut und öffnet für ein paar Momente noch einmal die Türen, durch die er in die üppig ausgestatteten Räume seiner Vergangenheit blicken kann.
    Dort sieht er den Helden, der er einmal war. Den höchstdekorierten Gendarmen, den das Land jemals hervorgebracht hat. Vom Kreisky persönlich mit dem Bundesverdienstkreuz behängt. Ein Gemälde haben sie von ihm und dem Alten angefertigt, am nächsten Tag war es im „Der Kriminalist“ abgebildet, samt Interview. So schaut ein großer Tag aus, genau so. Wenn es denn irgendwo irgendjemand aufgehoben hat, so wird das Gemälde als Erinnerung an ihn bleiben, wenigstens das.
    Der Biermösel selbst ist ganz froh, dass er gut getankt hat, wie er um die Ecke biegt und den alten Biermösel im Rollstuhl ganz alleine in einer Ecke vom Siechenheim sitzen sieht. Nüchtern hätte er diesen

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