Lebensbilder I (German Edition)
jeder andern beweglichen oder unbeweglichen Sache. Ein gründliches Verständnis muß zwischen Geber und Empfänger stattfinden, sonst bleibt das Elendsfell trotz allem Geben, Schenken und Übertragen stets im Besitz des alten Eigentümers. – Vernimm also mein Sohn, der du glaubst, mit diesem Talisman glücklich zu sein: daß es kein größeres Elend gibt, als im Besitz der Macht zu sein, die alle Wünsche erfüllt. Erfüllung raubt jedem Wunsch das Wünschenswerte: Erfüllung aller Wünsche macht uns Wünsche wünschen. Nur ein Wunsch aber bleibt dir im Besitz des Elendsfelles übrig, den dieses aber ausdrücklich versagt. Es zeigt dir stets die Dauer deines Lebens mit jedem Wunsche, wie gesagt, sonst auch mit jedem Tage, den du verlebt; schrumpft es zusammen, rückst du deinem Ende näher. Du wirst zuletzt nur zu leben wünschen, physisch nur zu leben, zu atmen, zu vegetieren wie eine Pflanze. Gibt's aber wohl ein größeres Elend, als alles andere nicht und dies nur zu wünschen? Und bei dem allen ist's noch ein Glück, daß man etwas wünscht, ist gleich dieser Wunsch eine Todesqual, die du allmählich erschöpfen mußt. Urteile daher, mit welchem großen Recht dieser Talisman »das Elendsfell« heißt. Zwar ergibt sich aus chemischen und naturhistorischen Untersuchungen, daß dies Fell ein Stück von der Haut des Elendtieres sei, magisch verarbeitet. Historisch läßt es sich vielleicht nicht nachweisen, wie ein indischer Zauberer zu einem Elendtier gelangte; allein Zauberer nehmen ja ihre Ingredienzien aus allen vier Himmelsgegenden, und in der Magie, wo das Wort zauberkräftig ist. muß Idee und Benennung eins sein. Mithin läßt sich annehmen, daß dies Elendsfell wohl nur vom Elendtier präpariert werden konnte. – Hiermit, mein Sohn, habe ich nun all meinen Pflichten Genüge geleistet, und es hängt jetzt von deinem freien Willen ab: ob du den Talisman willst oder nicht?«
»Was in der Welt«, rief der Jüngling, »kann mir das Leben wünschenswert machen? Ich wollte sterben, wohlan, so will ich angenehm sterben!« Mit konvulsivischer Bewegung ergriff er das Fell. »Untergehen will ich im Rausche des Daseins, im Vollgenuß aller Freuden!« rief er laut.
»Der Pakt ist geschlossen?« fragte der Greis.
»Er ist's!« rief der Jüngling: »ich will, was Himmel und Erde Genießenswertes haben, in einem Zuge erschöpfen, der Untergang soll meine Befriedigung sein. Ist's Sünde, mag es mein Schicksal verantworten, das in dem Augenblick, wo alle Begierden in mir, tierisch wild erregt, zum Tode sich drängten, diese Erfüllung mir in die Hände spielt. Vernimm, Alter! mich zerreißen alle Schmerzen, die je ein menschliches Eingeweide durchwühlt: verschmähter Liebe Pein, verhöhntes Kunstgefühl und Streben, erlittene Schmach und Selbstverachtung; und soll ich noch den physischen Schmerz des Hungers hinzuzählen, das Bedürfnis nach Schlaf, den der Gram mir geraubt? Ja! ich bin rechtmäßiger Besitzer des Elendsfelles. Ist der magische Name zugleich magisches Dasein, so sind das Elendsfell und ich Brüder, Teile eines Ganzen, gegenseitige Bedingnisse. Nichts ist es ohne mich, ich bin nichts ohne dasselbe. Nur mir kann es nützen, wie ich nur ihm. – Wohlan, so will ich jetzt denn glänzend und königlich speisen. Ein Bacchanal entstehe vor meinen Augen, das alle Genüsse vereint und Luxus und Eleganz auf ihre höchsten Spitzen treibt. Meine Tischgenossen sollen so ausbündig lustig und drollig sein, um einem Sokrates und Plato ein Lächeln abzunötigen. Und alle sollen meine Gesinnung und mein hochgestimmtes poetisches Gemüt anerkennen, so sehr es sie auch anfangs befremdet; und Weiber, anbetungswert an Geist und Körper, die solche Huld rings um sich her ergießen, daß jeder Jüngling sich zum Gotte träumen muß, sollen als Sklavinnen nur mir dienen!«
»Gemach, Freundchen!« unterbrach der Greis ihn lachend; »denkst du, dein Glücksrausch könne mein Magazin hier zerstören, ohne daß ich diesen Fall vorausgesehen und mitbedungen hätte? Sollen diese Wände sich hier auseinander begeben, diese Gegenstände hier alle sich entfernen, um deinen Tafeln, Freunden und Mädchen Platz zu machen?«
»Wie?« fragte der Jüngling.
»Deine Wünsche erfüllen sich, ohne daß Wunder geschehen,« antwortete der Greis. »Übrigens sind sie so gemeiner Art, daß ich reich genug bin, sie zu erfüllen. Doch will ich dem Elendsfell nicht vorgreifen, das jetzt einig und eins ist mit deinem Schicksal. Gib acht, noch eh'
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