Lebensbilder II (German Edition)
herrschte Totenstille in dem sonst fröhlichen Atelier, als der Gefangene hinter der Wand eines Tages das verabredete Zeichen mit dem Knopf einer Stecknadel gab, um anzufragen, ob er erscheinen dürfe.
Ginevra blickte umher, sah niemand als Laura, ging auf sie zu und sagte:
»Sie sind ja sehr steißig, liebes Kind, wollen Sie den Kopf heut noch vollenden?«
»Fräulein von Piombo,« antwortete Laura, »möchten Sie mir wohl den Kopf korrigieren, ich hätte gar zu gern ein Andenken von Ihnen.«
Still setzte sich die hohe Jungfrau auf den Platz des Kindes, um seinen Wunsch zu erfüllen, da fiel ihr dieses plötzlich um den Hals und rief weinend: »Wie gut Sie sind, Fräulein von Piombo, wie engelgut.«
»Was hast du, liebes Kind? Was kommt dir an mit einem Male?«
»Ich sah Sie heut zum letzten Male und nimmer, nimmer wieder. Sie waren so gut gegen mich, haben sich so viel Mühe mit mir gegeben. Ich habe so viel bei Ihnen gelernt, ich bin Ihnen ewig meine Liebe und Dankbarkeit schuldig.«
»Wirst du Herrn Servin ferner nicht besuchen? In Wahrheit, das tut mir leid.«
»Merken Sie denn nicht, daß ich seit einigen Tagen die einzige um Sie bin?«
»Was haben denn die anderen Damen, daß sie nicht kommen?«
»Daran, Fräulein von Piombo, sind Sie ganz allein schuld.«
»Ich?«
»Zürnen Sie mir nicht, mein bestes Fräulein, aber auch meine Mutter will nicht mehr, daß ich herkomme. Jene Damen alle behaupten, daß Sie einen Liebhaber hätten, der sich in jener finstern Kammer dort aufhielte. – Ich habe wahrhaftig kein Wort zu Hause davon gesagt. Aber gestern sprach Madame Planta meine Mutter und fragte sie, ob ich immer noch hierher gehen dürfe, und hat alles erzählt, was man Ihnen nachsagt. Meine Mutter war sehr böse auf mich, weil ich ihr nicht alles gesagt und kein besseres Vertrauen ihr erwiesen hatte. Liebstes, bestes Fräulein, blicken Sie nicht so schrecklich mich an. Ich sage nur die Wahrheit und will Sie nicht beleidigen. Mögen Sie recht oder unrecht haben, ich weiß nur, daß Sie um mich Dank verdienen, wenn meine Mutter es auch nicht glauben will. – Nein, Sie zürnen mir nicht. Sie blicken schon wieder so mild und gütig, wie ich ganz allein angeblickt wurde von allen Damen, die hierher kamen. Sagen Sie mir auch zum Abschiede, daß ich nach wie vor Ihre liebe Laura bleibe.«
Ginevra schüttelte den Kopf. »Gutes Kind!« sprach sie, »ich liebe dich mehr als ich dachte, und es ist mir schwer genug, dich auf immer zu lassen. – Indessen, meine kleine Freundin, bewahre dies Herz, das du mir jetzt zeigst, und es ist dir besser, als wäre Ginevra stets um dich.«
Laura konnte vor Schluchzen keine Worte finden.
»Ja!« sprach Ginevra gerührt, »seltsam geht es in der Welt zu. Was schaden unsere unschuldvollen Bande, was hat die Liebe eines guten Kindes zu ihrer Lehrerin Trennenswertes, daß man dich gewaltsam von mir entfernen will? Je nun! Gott will es so und – denke nichts Böses von mir, obwohl ich vielleicht sehr leichtsinnig gehandelt haben mag.«
Servin trat in diesem Augenblick ein. Laura verbarg ihre Tränen, küßte Ginevra noch einmal herzlich, nahm ihr Bild und ging.
Servin rief triumphierend: »Mein großes Bild ist fertig! Es geht doch nichts über die Freude, eine große Arbeit vollendet zu haben.«
»Wissen Sie auch, daß alle Ihre Schülerinnen Sie verlassen haben?« fragte Ginevra.
»Wieso?«
»Daß ich schuld bin an diesem Verlust, daß ich unwillkürlich Ihren ganzen Ruf untergraben habe?«
»Meinen ganzen Ruf? Und mein großes, neues Bild für die Ausstellung? Ei, Mademoiselle! nehmen Sie sich zusammen! Wissen Sie, mit wem Sie reden?«
»In allem Ernst! mein Herr. Ihre Schülerinnen ahnen von unserem Geheimnis; freilich wissen sie's nur halb, aber um so boshafter ist ihre Deutung. Es geht das Gerede, ich hätte einen Anbeter hier, den Sie mir zuliebe in jener dunkeln Kammer – –« Ginevra stockte, von Scham und Unwillen übermannt.
»Sollte dies so ganz ohne Wahrheit sein?« fragte Servin mit einem feinen Lächeln.
Ginevra senkte das dunkle Auge still sinnend zu Boden.
»Die Eltern hätten klüger sein sollen,« fuhr Servin fort. – »Wenn sie mich wahrhaft achten, warum kommen sie nicht zu mir, warum stellte mich denn kein einziger zur Rede? – Ei! was kümmert's mich! – Ist mein Bild doch fertig. Das Leben ist gar zu kurz, man muß malen und sich nicht um derlei kümmern.«
Der Fremde verließ jetzt sein finsteres Gefängnis. »Ich habe schuld, Herr
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