Lebensbilder II (German Edition)
seien Sie vorsichtig, ruhig und klug, wenn Sie meine Hilfe begehren!«
»Alles, alles! wie Sie wollen!« versetzte der Jüngling, »befehlen Sie nur.«
»Sie sehen mich morgen wieder,« sprach Ginevra und schickte sich an zu gehen.
»Morgen gewiß?« fragte der Fremde beklommen.
»Setzen Sie sich jetzt,« gebot der Maler. »Ihre Wunde bedarf der Pflege.« Er wollte ihm den Verband von derselben nehmen, aber der Jüngling kam ihm zuvor und riß unmutig die Binden und den Ärmel auf, daß sein Arm von neuem zu bluten anfing.
Ginevra, durch ein unerklärliches Mitleid gefesselt, war noch nicht fort, und da sie den Arm des Fremden, den ein Säbelhieb hart getroffen hatte, bluten sah, stieß sie einen Schrei aus.
»Vergeben Sie!« rief der Jüngling. »Nein, es ist nicht die Wunde, die mich schmerzt, ich habe aber bis jetzt noch nicht gefühlt, daß ich unglücklich bin, jetzt weiß ich's – verkennen Sie mich nicht. – Gott, ich bin sehr elend!« rief er heftig und fing bitterlich an zu weinen.
Der Maler winkte, und Ginevra ging schweigend, denn sie fühlte, wie nahe auch ihr die Tränen waren.
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Am folgenden Tage hatte sie sich beizeiten wieder eingefunden, auch Servin hatte eine Arbeit im großen Atelier und gestattete dem Gefangenen, nachdem er den Saal verschlossen, sein finsteres Versteck zu verlassen.
Der junge Krieger erzählte den Malenden seine Schicksale. Er hatte im neunzehnten Jahre den russischen Feldzug mitgemacht, war der einzige von seinem Regimente, der über die Beresina gekommen war, und beschrieb mit ehrenwertem Feuer die unglücklichen Schlachten von Leipzig und Waterloo. Ginevra ließ Pinsel und Palette sinken; sie war zu stolz und einfach, um die Teilnahme zu verleugnen, welche sie der natürlichen Beredsamkeit des jungen Kriegers weihte. Bald erzählte dieser auch seine früheren Schicksale und nannte sich Luigi Porta.
»Haben Sie gar keine Erinnerungen aus Ihrer frühesten Jugend in Korsika?« unterbrach sie den eifrig Redenden.
»Ich war erst sechs Jahre alt, als ich meine Heimat verließ, unser Haus brannte, und meine Wärterin, die mich den Flammen entriß, erzählte mir weinend, daß meine Eltern und Geschwister alle umgekommen. Sie starb bald darauf in Mailand.«
»Haben Sie meinen Namen niemals gehört, niemals von den Piombos vernommen?«
»Niemals als gestern hörte ich den teuren Namen meines Rettungsengels.«
Ginevra wandte sich erst zu ihrem Bilde zurück und fing emsig an zu malen, ihr Ernst raubte dem Jüngling alle Lust, weiter zu erzählen, er rückte ihr so viel als möglich näher und sah ihr aufmerksam zu.
Die Zeit rief Ginevra heim, sie erhob sich, fragte den Fremden gleichgültig: »Es scheint, als ob es Ihnen Vergnügen macht, malen zu sehen.«
»Wie glücklich wär ich,« rief er, »besäße ich Ihre Kunst!«
Er wollte ihre Hand begeistert an die Lippen drücken, Ginevra riß sich mit Entsetzen los.
Der Jüngling erschrak.
Ginevra beruhigte ihn durch einen wohlwollenden Blick und versprach während der Stunden im Atelier ihm alle politischen Neuigkeiten, die Bezug auf ihn haben könnten, mitzuteilen, er solle nur auf die korsischen Lieder merken, die sie bei der Arbeit singen würde. –
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Am folgenden Tage war die Monsaurin wieder die erste und vertraute einer jeden der Ankommenden unter dem Siegel des Geheimnisses, daß Ginevra di Piombo ein Liebesverständnis mit einem schönen, jungen Manne unterhielt, der in der finstern Kammer verborgen wäre.
Ginevra kam und wurde mit aller Neugier, deren junge Mädchen bei solcher Gelegenheit fähig sind, beobachtet; man belauschte auch ihre bald heiteren, bald schwermutvollen Gesänge, erspähte jeden ihrer Blicke und deutete ihr sorgfältiges Lauschen nach dem Kabinett hin auf die verschiedenartigste Weise. Sie aber kümmerte sich um nichts, blieb ruhig und heiter; das Atelier war ihr von jeher der liebste Aufenthalt gewesen.
Nach Verlauf von acht Tagen hatte jede Schülerin des Herrn Servln Gelegenheit gefunden, durch die Spalte den schönen Schläfer zu beobachten, und eine jede hatte aus Schaltzhaftigkeit oder Scheintugend zu Hause gleich alles, so gut sie es wußte, wiedererzählt; in allen Familien wurde darüber geredet, und eine Schülerin nach der anderen blieb aus, bis auf die kleine Laura, welche, trotz allem Zureden der Monsaurin, nicht zu bewegen war, nur einmal durch die Spalte zu blicken.
Laura war seit einigen Tagen schon Ginevras einzige Gesellschafterin, und es
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