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Lebensbilder II (German Edition)

Lebensbilder II (German Edition)

Titel: Lebensbilder II (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Flusse der Rede begriffen, fort, »habe ich je in den Pflichten einer Tochter gegen Sie gefehlt? Habe ich nicht Glück und Beruhigung in dem gefunden, was anderen Kindern nur einfache, leere Schuldigkeit dünkt? Seit fünfzehn Jahren bin ich Ihnen nicht von der Seite gewichen, und war es mir gegeben, irgend etwas zu Ihrer Freude vollbringen zu können, wahrlich, mit meinem Wissen ward es nicht verabsäumt. Ach Gott, bedenken Sie ja alles, alles, vergessen Sie niemals, wie innig Sie Ihr einziges Kind lieben, denn wenn ich weiter gehe und Ihnen sage, wer mein Bräutigam ist, – o Gott, mir ahnet Böses!«
    »Fängst du an, mit deinem Vater zu rechnen?« fragte der Greis mit Bitterkeit. »Ja.« fuhr er unwillig fort, »ich will dir's nur gestehen, ich dachte, nie würdest du dich vermählen, ganz wie und was du bist, würdest du dich der Pflege deines alten Vaters widmen. Oh! ich Narr! wie konnte ich mir das einbilden? So etwas ist ja nicht geschehen, seit die Welt steht. Kinder lieben ihre Eltern nicht. Das hat man von den schönen Töchtern, die man groß zieht, daß sie dem Manne folgen. Ich alter Esel, eifersüchtig bin ich auf jeden, den du liebst.«
    »Lieber Vater,« versetzte Ginevra sanft, »ich erschrecke vor Ihnen. So liebt ja ein Vater seine Tochter nicht; was Sie von mir begehren, ist wider die Natur, und keine Pflicht befiehlt es mir. – Gestehen Sie lieber, Sie können nicht billigen, was ich ohne Ihren Willen tat, und suchen Ihren Unwillen darüber auf diese Weise zu rechtfertigen, um Gottes willen, lassen Sie heut den Eigensinn, sonst bin ich verloren.«
    »Du willst dich also verheiraten! Ich soll kein Kind mehr um mich haben,« rief der Greis wie trostlos.
    »Zwei! lieber Vater!«
    »Ich kann nicht ohne dich leben.«
    »Sie konnten's!« versetzte Ginevra strenger. »Monatelang sind Sie auswärts gewesen und fern von mir. Viel besser könnten Sie es als mein Bräutigam, denn ihm bin ich alles. Er stirbt heute ohne mich, er betet mich an. Oh, hätten sie es gesehen!«
    »Der Laffe liebt dich?« rief Bartholomeo zornig über den dreisten Widerspruch, »oh, liebte er dich, längst hätte er mich umgebracht, wie ich Lust habe, ihn zu erdolchen.«
    Ginevra blickte ihn erschrocken an.
    «Still, liebes Kind!« fuhr der Alte fort, «es überrascht mich, du siehst, ich muß mich in alles finden. – Es gibt also doch jemand, den du lieber hast als mich.«
    »Lieben Sie meine Mutter mehr als mich oder mich mehr, als meine Mutter? – Gestehen Sie doch, daß diese Empfindungen unvergleichbar miteinander sind.«
    «Du bist klüger als ich, mein Kind! Du schlägst mich mit meinen eigenen Waffen. So gib du heut nach, damit ich mich finden lerne. Kind! ich habe keinen Kaiser mehr, kein Vaterland mehr, nur die einzige Ginevra. Unter dem Kaiser hätte ich dich gern einem Grafen, einem Herzog hätte ich dich gegeben! Ginevra, warum hast du damals keinen Fürsten geheiratet?«
    «Sie wollen mich nicht verstehen! Ich rede kein Wort mehr,« rief Ginevra zornig. «Mein Vater, ich muß Ihnen vertrauen; gut, die Wahrheit habe ich Ihnen gesagt, – nenne ich Ihnen meinen Bräutigam und Sie weigern ihn mir, so weigern Sie mein Glück, so wünschen Sie meinen Tod oder machen mich den Ihren wünschen. – Verzeih mir Gott, ich bin in einer Lage, wo ich das Äußerste wagen muß.«
    «Oh. ich überleb' dich!« rief der Greis, «denn Kinder, die ihre Eltern nicht ehren, sterben früh.«
    Ginevra fiel ihrem Vater weinend um den Hals, schlang liebevoll die Arme um seinen Nacken, küßte ihm Stirn und Locken: der Vater war besänftigt, er nannte sie wieder sein Kind und Ginevra-Bella, Ginevretta, nahm sie auf den Arm, trug sie im Zimmer umher. Seine natürliche Zärtlichkeit grenzte an Wahnwitz, ans Närrische. Er löste ihre Flechten, ließ ihr Haar herabfallen. Ginevra ward böse, doch liebkoste sie ihn scheltend und bat, ihren Bräutigam ihm vorstellen zu dürfen, wer es auch sei, den sie liebte. Der Vater schien dies ebenfalls scherzend zu weigern, beide stritten sich liebkosend miteinander. Zuletzt gab Bartholomeo nach und versprach, mit allem zufrieden sein zu wollen, unter der Bedingung, daß Ginevra heut nicht mehr davon rede. – Man ging zu Tische.
     
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    Seit dem Tage fand sich Ginevra nur spät auf dem Atelier ein und verließ es früher als gewöhnlich; erwies sich zärtlicher und zuvorkommender als je gegen ihren Vater und schien im voraus die große Schuld der Dankbarkeit abtragen zu wollen, die eine solche

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