Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lebensbilder II (German Edition)

Lebensbilder II (German Edition)

Titel: Lebensbilder II (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
Vom Netzwerk:
wirklich unter den längst bekannten Mitgliedern seiner Familie befände. Aber jeder vermied, des andern Augen zu begegnen, deren bedeutungsvolles Dunkel gemeinsame Familienähnlichkeit war. Nur körperlich waren sie beieinander, jedes geistige Band schien fürchterlich zerrissen.
    Sie verließen den Speisesaal, das feierliche, beängstigende Schweigen dauerte fort.
    Piombo wollte etwas sagen, die Stimme versagte ihm.
    – Er schellte.
    »Mach' Feuer im Kamin, Jean!« gebot er dem Diener. »Mich friert!«
    Ginevra erschrak; sie blickte den todbleichen Vater an, es war ihr, als müsse sie für sein Leben fürchten.
    »Können Sie denn von Ihrem Haß nicht lassen,« begann sie endlich, »wo es meinem Glücke gilt? – O Vater! hätten Sie gesagt, er ist arm, ist an Rang und Geburt mir nicht gleich, es wären mindestens Gründe, die ein Vater einer Tochter einwenden darf.«
    »Ginevra!« fragte der Alte, »willst du dich mit dem Erbfeind deiner Familie verbinden?«
    »Ich danke meinem Schöpfer, daß ich in Ihrem blutigen Glauben nicht aufgewachsen bin. Vater, ich erschrecke vor Ihnen. Fürchten Sie Gott nicht? Hat Ihr Kaiser diesen Bluthaß Ihnen nicht genommen? Fünfzehn Jahre sind Sie hier. Können Sie denn solche abscheuliche Wut nicht vergessen? Ich und er, wir sind rein von dem Verbrechen, das unsere Häuser besudelt. Hätte ich je ein unschuldiges Kind ans Bett festbinden können, damit die Flammen des eigenen Hauses seine zarten Glieder verzehrten, und ich fände solchen Frevel ungeschehen, ich fände einen herrlichen Jüngling, meine Gesinnungen teilend, meinen Helden anbetend, unglücklich im Eifer für meine Sache und mir als Hilfsbedürftiger zugewiesen, die Füße würde ich ihm küssen und ihn als einen Erlöser von so großer Sünde anbeten. Und liebte er meine Tochter, einen Wink des Himmels würde ich darin anerkennen.«
    »Du bist gelehrt, ich habe dich viel lernen lassen, aber ich heiße Bartholomeo di Piombo.«
    »Bedeutet der Name Piombo: ich will, was ich einmal will, mit tausendmal besserem Rechte heiße ich Ginevra di Piombo.«
    »Wähle zwischen mir und ihm.«
    »Ich habe gewählt.«
    »Was hat er vor mir voraus, daß du ihm folgen, mich verlassen willst?«
    »Er liebt mich mehr als Sie. Sie lieben sich selbst nur. können von Ihrem Haß nicht lassen, mir zuliebe. Ich verlasse Sie, weil Sie so denken, denn nicht er noch ich können unter Ihren Augen leben!«
    »Willst du in meine Rache hineinheiraten? Ich denke, du kennst mich?«
    «Ich kenne Sie! Was wollen Sie damit sagen?«
    »Daß ich einen Dolch habe und keinen Menschen fürchte.«
    »Und ich fürchte keinen Dolch!«
    »Dein Glück, daß wir in Paris sind,« rief der Alte mit einem fürchterlichen Blick und schlug mit der geballten Faust auf die Marmorplatte des Kamins, daß es im weiten Zimmer hallte.
    Ein wenig erblaßte Ginevra. Sie sah ihren Vater an, der wie ein fürchterliches Gespenst ihr erschien.
    »Treiben Sie es so weit,« sprach sie, »damit ich mit vollem Rechte den Vater hassen kann, denn weil ich Ihre Tochter bin, habe ich wohl nichts auf der Welt zu erwarten als meinen Tod in Unschuld. – Ich danke Ihnen, dies Wort hat mich sicher gemacht. Der letzte Liebesfunke für meinen Erzeuger ist nun erstickt in meinem Herzen.«
    Ginevra wollte einen höheren Heldenmut behaupten als sie besaß. Sie nahm ihre Harfe aus dem Winkel und versuchte, ein Lied zu spielen. Aber wild rührte sie die Saiten, und ihre Brust hatte keinen Atem zum Gesang. Dröhnend stieß sie die Harfe in den Winkel zurück, rang die Hände, Tränen brachen aus ihren Augen. »Lieber Vater!« rief sie, »ich bitte, sagen Sie, ist dies alles ein fürchterlicher, garstiger Traum?«
    Sie wollte ihn umarmen, er stieß sie mit Widerwillen von sich.
    »Oh, sehen Sie, Mutter!« rief Ginevra weinend, »den Mann liebten Sie, von dem konnten Sie sich Zärtlichkeiten gefallen lassen, arme, arme, beklagenswerte Frau! Ja, ich verlasse Sie auch, denn Sie sind einem Manne vermählt, dessen Grundsätze ich verabscheue; ich verabscheue mein Vaterland und alle Korsen. Weil ich eine Korsin bin, bin ich dem Unglück geweiht.« Sie verließ das Gemach.
    Am folgenden Morgen hatte Ginevra alles das, was sie das Ihrige nennen konnte, zusammengepackt und wollte mit dem frühsten das Haus verlassen. Der Portier weigerte sich, ihr die Tür zu öffnen, und berief sich auf den strengen Befehl des gnädigen Herrn. Ginevra kehrte zurück. Die Diener des Hauses alle waren ihr ergeben, und eine

Weitere Kostenlose Bücher