Lebensbilder II (German Edition)
sie das Landhaus des Grafen Fontaine. Die ganze Familie war begierig, den Gast, den der Oheim einführte, näher kennen zu lernen.
Er erschien in einfacher, aber feiner Kleidung. Sein Benehmen war eben so bescheiden wie artig, seine volle Stimme gab jedem seiner Worte eine gewisse Herzlichkeit, die Wohlwollen erregte. Die Pracht in der Wohnung des reichen Generaleinnehmers und die Eleganz, welche durchgängig in der Familie herrschte, setzte ihn keineswegs in Verlegenheit. Er ließ den Weltmann trotz seiner Jugend nie vermissen, verriet eine gute Erziehung und mehr als gewöhnliche Kenntnisse.
Mit dem Kontre-Admiral war er bald in ein Gespräch über Schiffsbaukunst verwickelt und wußte über diesen Gegenstand so gut zu reden, daß eine der Damen ihn fragte, ob er die polytechnische Schule besucht.
»Ich denke, Madame, daß es keine Schande ist, darin erzogen worden zu sein.« antwortete er.
Alle Einladungen, bis nach Tische zu bleiben, lehnte er höflich ab, er gab vor, daß er seine Schwester nicht allein lassen dürfe, deren zarte Gesundheit aller Pflege bedürfe.
»Sie sind ein Arzt?« fragte eine Schwägerin Emiliens spöttisch.
»Sie sind aus der polytechnischen Schule, denke ich,« versetzte Emilie sanft; zufrieden, daß die vermeinte Nebenbuhlerin nur Longevilles Schwester sei.
»Aber man kann ja Arzt sein und die polytechnische Schule ebenfalls besucht haben,« versetzte die Schwägerin.
»Allerdings ist beides möglich!« antwortete Longeville.
Emilie betrachtete den Fremdling nicht ohne Unruhe über alle diese unadeligen Beschäftigungen, bis dieser zum Glück hinzufügte: »Ich bin weder so glücklich, Arzt zu sein, meine Damen, noch gebe ich mich mit dem Brücken- und Straßenbau ab, um meine Unabhängigkeit nicht einzubüßen.«
»Daran haben Sie wohl getan,« sprach Herr von Fontaine, – »aber woher nennen Sie es Glück, Arzt zu sein? – Ein junger Mann von Ihren Anlagen!« –
»Ich achte alle jene Wissenschaften hoch, die einen so segensreichen Zweck haben.«
»Ich bin mit Ihnen einverstanden, man liebt die Kunst, wie eine Jungfrau geliebt wird, man achtet die Wissenschaften, wie man eine Matrone achtet.«
Der Besuch des Herrn Longevllle dauerte weder zu lange noch zu kurze Zeit. Er verließ die Gesellschaft, nachdem er überzeugt sein konnte, jedem gefallen zu haben. Der Graf hatte ihm das Geleite gegeben. »Es ist ein schlauer Patron,« sprach er, als er wieder eintrat.
Nur Emilie blieb still und einsilbig nach diesem Besuche. Sie hatte diesmal nicht alle Koketterie aufgeboten, ihren Witz nicht glänzen lassen, ihre reizenden Blicke und Bewegungen nicht angewandt, um den Fremden zu fesseln.
Vielleicht achtete sie ihn zu sehr, um zu erwarten, daß er durch solche Künste gewonnen werden konnte, und in ihrer Einfachheit und Wahrheit erschien Emilie schöner als jemals.
Man war begierig zu wissen, was Emilie von dem artigen jungen Manne dachte. Während der Tafel machte jeder sich ein Vergnügen daraus, Herrn Longeville mit einer neuen vorteilhaften Eigenschaft zu schmücken. – Emilie schwieg eigensinnig, bis eine leise Spottrede ihres Oheims sie erweckte, und sie lächelnd erklärte, ihre Meinung von menschlicher Unvollkommenheit wurzele zu tief, als daß es dem Fremden binnen einer Stunde schon gelungen sein könne, ihr dieselbe zu nehmen. Sie hüte sich wohl, nach so kurzer Zeit schon ein Urteil über einen jungen Menschen auszusprechen, der sich mit solcher Schlauheit und Feinheit zu benehmen wisse. Sie fügte hinzu: wehe denen, die aller Welt gefallen, denn wer allen gefällt, kann einem nicht gefallen, und der größte Fehler, den ein Mensch hat, ist, keinen Fehler zu haben. Derjenige, von dem wir es denken, ist entweder ein Gott, ein Klotz oder ein Heuchler.
Nach dem dritten Besuche des Herrn Longeville konnte Emilie nicht länger zweifeln, daß sie das Ziel derselben sei. Diese Überzeugung entzückte sie freilich, dafür quälten sie aber andere Eigenschaften des Gastes um so mehr, nämllch sein hartnäckiges Schweigen über seine Beschäftigungen und seine Familie; alle Versuche, ihn darüber auszuforschen, scheiterten. Sprach Emilie von Malerei, so antwortete Longeville wie ein Kenner. Musizierte man, bewies er eine ziemliche Virtuosität auf dem Klavier. Eines Abends sang er zum Entzücken aller Anwesenden mit Emilie ein Duett von Cimarosa, daß man ihn allgemein für einen Musiker hielt. Als man ihn darüber befragte, scherzte er mit soviel Anmut, daß die Weiber
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