Lebensbilder II (German Edition)
so wenig, wie der schlaueste Forscher, erraten konnten, was er wirklich sei. Der alte Oheim warf umsonst seine Enterhaken und Seile aus, der Jüngling kappte sie alle. Und er konnte dieses Inkognito um so leichter fortsetzen, weil die Neugier niemand in der Familie bewegen konnte, die Grenzen der Höflichkeit zu überschreiten.
Emilie hoffte, vielleicht bei der Schwester etwas auszurichten, und beschloß, Klara, die bisher eine stumme Person gespielt, in die Handlung zu verwickeln. Der alte Oheim versprach seinen Beistand. Bald war die ganze Gesellschaft zu Banneval begierig, die liebenswürdige Schwester des angenehmen Gastes kennen zu lernen, und drang mit Bitten in ihn, dieselbe vorzustellen. Ein einfacher Ball ward als Gelegenheit vorgeschlagen und angenommen.
Inzwischen hatte Emille mehr Gelegenheit, als gewöhnlich Anverwandte einer jungen, unverheirateten Dame einzuräumen pflegen, mit ihrem bescheidenen Anbeter allein zu sein und konnte sich ganz den ersten, schuldlosen Freuden einer aufkeimenden Zuneigung hingeben. Sie durchschweifte an seiner Seite die herrlichen Gartenanlagen oder unterhielt sich mit ihm über Kunstgegenstände, oder sie sangen und musizierten miteinander und gestanden sich in Paesiellos oder Boieldieus Tönen, was in Worten sich zu sagen, noch nicht an der Zeit war.
Endlich brach der Tag an. wo der Ball stattfinden sollte. Klara Longeville und ihr Bruder fanden sich zu demselben ein. Emile sah zum ersten Male ohne Mißvergnügen eine Dame neben sich glänzen und tat sogar selbst alles, den Triumph derselben zu erhöhen. Daneben aber sparte sie keine Mühe, die Fremde über Stand und Rang auszuforschen. Zu ihrem Leidwesen ergab sich aber, daß Klara noch bei weitem zurückhaltender war als ihr Bruder; sie zeigte sogar mehr Feinheit und Geist noch in der Hinsicht, weil sie bei aller Verschwiegenheit als die Offenheit selbst erschien. Emilie, statt auszuforschen»ward vielmehr ausgeforscht und mußte manche Antwort bereuen, die Klara ihr entlockt, obgleich diese wie die Unschuld selbst dasaß, ohne die mindeste Arglist vermuten zu lassen.
»Mein Fräulein!« sagte diese im Laufe des Gesprächs, »Maximilian hat mir so viel von Ihnen erzählt, daß es mein lebhaftester Wunsch war. Sie kennen zu lernen. Und man kann Sie nicht kennen lernen, ohne Sie lieben zu lernen.«
»Teuerste Klara!« antwortete Emilie dreist, »wie freut es mich, Sie so gütig zu finden, ich glaubte, Sie eben erzürnt zu haben, durch eine Äußerung über die, welche nicht von Adel sind.«
»Beruhigen Sie sich,« antwortete jene, «Ihr Vorwurf kann mich nicht treffen, so wenig wie einen andern der hier Anwesenden.«
So stolz die Antwort klang, so sehr erfreute sie auch diejenige, an der sie gerichtet war. Emiliens Augen suchten Longeville und weilten mit größerer Zufriedenheit auf ihm, nun sie wußte, daß er von gutem Herkommen sei. Ihre Augen strahlten vor Freude, als er sie zum Tanze aufforderte. Tanzend schien sie in einem Meer von Wonne zu schwimmen, und wenn der Kontretanz erforderte, daß das glückliche Paar sich die Hände reichte, begegneten sie sich mit einem schüchternen und leisen Drucke. – Der alte Oheim ließ beide nicht aus den Augen und fragte den Grafen Fontaine: »Kann eine Vernunftheirat sich schneller und leichter in ein Liebesverhältnis umgestalten?«
Allein diese Worte hatten den Grafen stutzig gemacht. Emiliens Heirat war keineswegs so gleichgültig, als er kürzlich vorgegeben. Heimlich ließ er in Paris Erkundigungen über Longeville einziehen, aber es konnte ihm niemand Auskunft geben, dies beunruhigte ihn sehr, und er beschloß demnach, seine Tochter zu warnen.
Emilie empfing seine Ermahnungen mit einem erkünstelten Gehorsam, worin der Spott sich nur wenig verbarg.
»Wenigstens gesteh es ihm nicht, meine Tochter, wenn du ihn lieben solltest,« bat sie der Graf.
»So will ich's dir gestehen, daß er mir nicht gleichgültig ist, und werde es ihm nicht eher merken lassen, als bis du es mir erlaubst.«
»Bedenke aber auch, daß sein Stand, sein Rang dir noch unbekannt ist.«
»Wenn mir beides unbekannt ist. so will ich beides nicht kennen. Aber, lieber Vater, du wolltest mich verheiratet sehen. Du gabst mir Freiheit, jedwede Wahl zu treffen. Wenn ich dir nun sage, ich habe gewählt. Was verlangst du mehr? – «
»Ist es der Sohn eines Pairs von Frankreich?«
Emilie schwieg eine Weile, dann hob sie stolz das Haupt und begann: »Die Longevilles sind – «
»Sind erloschen mit
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