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Lebensbilder II (German Edition)

Lebensbilder II (German Edition)

Titel: Lebensbilder II (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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ganz anderen Zeichen, was in ihr vorging.
    Ihr blitzendes Auge nämlich ruhte unbeweglich auf dem Fremden, der stillsinnend und sorglos vor ihr herging.
    »Getroffen,« dachte er bei sich. »Sie setzt ihm nach wie der Kaper dem Kauffahrer. – Hat er sich aber entfernt, so wird sie außer sich sein, weil sie nicht einmal erfahren kann, wer er sei, und ob er adlig ist oder nicht. – Es ist doch gut, wenn so ein junges Köpfchen eine alte, siebzigjährige Perücke zur Begleitung hat. – Wohlan! ich will einmal zeigen, was ich ehemals war.«
    Er spornte mit einem Male sein Pferd, jagte seiner Nichte vorbei und ritt so ungestüm auf den jungen Spaziergänger zu, daß dieser rasch zur Seite springen mußte und auf den Rasen niederfiel, der den Weg begrenzte. Hierauf hielt er sein Pferd an und rief zornig:
    »Können Sie nicht ausweichen?«
    »In der Tat, mein Herr«, sprach der Unbekannte, »ich wußte nicht, daß das Ausweichen an mir war. Ich bedaure recht sehr, daß Sie mich fast überritten hätten.«
    »Mein lieber, junger Mensch!« fuhr jener fort. »Sie sehen hier einen alten Seemann, mit dem es nicht geraten ist, sich einzulassen. Nehmen Sie sich in acht, Freund!«
    Bei diesen Worten gab er dem Fremden einen leichten Schlag mit der Gerte auf die Schulter! »Gelbschnabel!« rief er, »merke dir's, daß man zu Fuße mit Reitern nicht anbinden soll.«
    Der Jüngling antwortete erzürnt: »Ich hätte es Ihren weißen Haaren nicht zugetraut, daß sie auf Händel ausgehen.«
    »Weiße Haare!« rief der Seemann, »das lügst du in deinen Hals hinein, sie sind nur grau! Euren Großmüttern habe ich schon den Hof gemacht und steche Euch auch noch aus bei Euren Weibern, wenn sich's der Mühe lohnt.«
    Der Streit wurde heftig, der Jüngling verlor seine Fassung, die er lange genug behauptet, als der Graf Cargarouet seine Nichte mit allen Zeichen der Bewegung herzueilen sah. Hastig nannte er dem Gegner seinen Namen und gebot ihm, in Gegenwart der jungen Dame, die unter seinem Schutze sich befände, das tiefste Schweigen zu beobachten.
    Der Unbekannte reichte dem Seemann eine Karte, mit der Bemerkung, daß sie seine Adresse zu Paris enthielte, er jetzt aber ein Landhaus in Chevreuse bewohne, dessen Lage er mit wenigen Worten näher bezeichnete, und sich hierauf rasch entfernte.
    «Was ist das? lieber Onkel«, fragte Emilie. »Können Sie Ihr Pferd nicht mehr halten? Sie sitzen dies Jahr nicht halb so gut mehr wie im vorigen.«
    »Wagst du, deinem Onkel dergleichen ins Angesicht zu behaupten?«
    »Billigerweise sollten wir uns doch erkundigen, ob der arme Mensch Schaden genommen!«
    »Das seh ich nicht ein, solch ein Ladenritter muß es sich zur Ehre schätzen, von einem so vornehmen Fräulein oder so einem alten Seemanne überritten worden zu sein.«
    »Woher halten Sie ihn für einen Bürgerlichen? Sein Benehmen dünkt mich sehr fein.«
    »Alle Welt hat heutzutage ein feines Benehmen.«
    »Nein! lieber Oheim! nicht all und jeder hat das Benehmen und den Anstand, den man in den Salons erwirbt. Ich wette mit Ihnen, er ist adelig.«
    »Kennst du ihn schon näher?«
    »Es ist heut nicht zum ersten Male, daß ich ihn sehe.«
    »Und daß du ihn suchst,« lächelte der Graf.
    Emilie errötete. Der Oheim weidete sich eine Zeitlang an ihrer Verlegenheit, endlich sagte er:
    »Emilie, du weißt, ich liebe dich wie mein Kind, und bloß deswegen, weil du die einzige bist, die auf ihre Geburt noch gehörig stolz ist. Alle Wetter, mein Kind! in deinem Alter hätte ich nicht geglaubt, daß die guten Grundsätze so selten würden. Still! – die anderen würden sich über uns lustig machen, wenn wir unter falscher Flagge in See gehen, du verstehst mich? Darum will ich dir helfen. Laß uns beide dies Geheimnis bewahren, ich verspreche dir, diese Brigg mitten in den Salons vor deine Kanonen zu liefern.«
    »Und wann?«
    »Morgen!«
    «Und was soll ich damit?«
    »Was du willst, ihn bombardieren, anzünden, entern, abtakeln, und wenn du willst, als ein altes Wrack liegen lassen; es ist ja nicht zum ersten Male, daß du dergleichen unternimmst.«
    Heimlich zog er die Karte hervor und las: Maximilian Longeville. Rue de Sentier. »Sei ruhig,« fuhr er fort, »du kannst mit gutem Gewissen auf ihn Jagd machen. Er ist aus gutem Hause, und wenn gleich noch kein Pair, so muß er's einst werden.«
    »Woher weißt du das?«
    »Das ist mein Geheimnis.«
    »Weißt du seinen Namen?«
    Der Graf nickte mit dem Kopfe. Emilie nahm ihre Zuflucht zu allen

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