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Lebensbilder II (German Edition)

Lebensbilder II (German Edition)

Titel: Lebensbilder II (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Touren des Tanzes sie jetzt entfernt hatten, näher in Augenschein zu nehmen. Aber der Unbekannte ging auf die liebliche Tänzerin zu, neigte sich zu ihrem Ohre, und Emilie vernahm, obschon er mit leiser Stimme, jedoch ernstlich und bestimmt, die Worte sprach:
    »Klara! jetzt hörst du auf zu tanzen.«
    Dieser Befehl schien Klara unwillkommen, indessen gehorchte sie. Der Kontretanz war zu Ende, und der Unbekannte trug alle Sorgfalt eines Liebenden für sie. Er schlug einen Kaschmirschal um ihre Schultern und führte sie auf einen Sitz, wo sie dem Luftzuge nicht ausgesetzt war. Bald darauf erhoben sich beide, gingen außerhalb der Rotunde Arm in Arm, als ob sie im Begriff wären, das Fest zu verlassen.
    Emilie bewog ihren Bruder, unter dem Vorwande, die Aussichten des Gartens in Augenschein zu nehmen, dem Paare zu folgen. Gutwillig überließ sich dieser der Führung seiner Schwester, und beide sahen das unbekannte Paar ein elegantes Tilbury besteigen, welches ein Diener in Livree und zu Pferde für sie bereit hielt.
    Als der Fremde seinen Sitz eingenommen und die Zügel geordnet, warf er einen Blick auf die Menge zurück, der zum Teil auch Emilie traf; diese hatte indessen den Triumph, daß er noch zweimal sich nach ihr umsah und endlich auch seine Begleiterin, vielleicht aus einem Anfall von Eifersucht, nach ihr blickte.
    »Ich denke, du hast dich jetzt genug im Garten umgesehen,« begann ihr Bruder lächelnd, »und es ist Zeit, daß wir zum Tanzplatze zurückkehren.«
    »Meinetwegen,« antwortete Emilie. »Ich glaube sicher, dies ist die Vicomtesse Avergaveny, ich habe ihre Livree erkannt.«
    Am anderen Tage wünschte Emilie, einen Spazierritt zu machen. Sie bewog ihren Bruder oder ihren Onkel, sie auf diesen Morgentouren zu begleiten, welche, wie sie behauptete, der Gesundheit sehr zuträglich wären. Sie schlug gewöhnlich Wege ein, die zum Landsitz der Vicomtesse führten, aber trotz ihrer Kavalleriemanöver fand sie nicht, was ihre freudigen Hoffnungen ihr verhießen.
    Auch besuchte sie öfter die Bälle zu Sceaux, ohne den Gegenstand wirklich wieder zu finden, dem sie in Träumen so oft begegnete, und der alle ihre Gedanken beherrschte und verschönte. Ein jedes Hindernis dient einer aufkeimenden Zuneigung zum Wachstum; dennoch geriet Emilie bald auf den Punkt, alle Hoffnung und Nachforschungen aufzugeben, denn Klara, so nannte Emilie die Unbekannte, weil sie bei diesem Namen sie rufen gehört, war weder Vicomtesse noch Engländerin und bewohnte auch nur die bescheidenen, aber reizenden und balsamischen Anlagen um Chatenay.
    Eines Abends sogar, als Emilie mit ihrem Onkel einen Spazierritt unternommen, begegnete ihr der Wagen der Vicomtesse. Dieses Mal war sie es wirklich, und ein wohlbeleibter Gentleman saß ihr zur Seite, dessen frische Gesichtsfarbe einem Mädchen Ehre gemacht haben würde, obgleich sich von derselben ebensowenig auf Herzensreinheit schließen läßt wie von einer brillanten Toilette auf Wohlhabenheit und Reichtum. Beide Gestalten hatten weder in ihren Zügen noch in ihrem Benehmen irgend etwas von den verführerischen Bildern, die Liebe und Eifersucht tief in Emiliens Herz gegraben. Voll Verdruß über eine solche Täuschung, wandte Emilie ihr Pferd, und ihr alter Oheim hatte die größte Mühe von der Welt, ihr nachzukommen, so jagte sie von dannen.
    »Obschon ich jetzt zu alt geworden bin, um mich auf das Herz eines jungen, zwanzigjährigen Mädchens zu verstehen,« so urteilte der Seemann, – »werde ich doch die heutige Jugend wohl nach der damaligen, die ich kennen gelernt, beurteilen können. – Ich war damals doch auch ein feiner Segler und wußte den Wind wohl zu nutzen. Aber meine Nichte begreif' ich wahrlich noch nicht. Jetzt reitet sie wieder so langsam wie ein Pariser Gendarm auf der Patrouille. Sollte man nicht denken, sie habe den redlichen Bürgersmann dort aufs Korn genommen? Es scheint mir ein Dichter, der Verse macht. – Aber ich bin ja wohl närrisch. Es ist am Ende das Wildbret, welches ich ihr aufsuchen helfen muß.«
    So urteilte der alte Seemann und ließ sein Pferd auf dem Sande gehen, um allmählich seine Nichte einzuholen. Er hatte in den siebziger Jahren, in jener Periode, wo Galanterie an derTagesordnung war, zu viel lose Streiche begangen, um jetzt nicht zu erraten, daß Emilie ihren Gegenstand heimlicher Zuneigung aufgefunden. Obschon sein Auge durch das Alter geschwächt und Emiliens Gesichtszüge dieselben blieben, erkannte der alte Graf Cargarouet aus

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