Lebensbilder II (German Edition)
Vater! – wie hat sie an seinem Sterbebette mit ihm gelitten.«
Eine Träne trat bei diesen Worten in ihr Auge. »Ei!« rief sie, sich ermunternd, »was denken wir an einem so schönen Tage, wie der heutige, an Unglück!«
Eugen sah gerührt auf sie, sie merkte es, errötete und konnte seinen Blicken nicht begegnen.
»Wer war Ihr Vater?« fragte er.
»Vor der Revolution ein Operntänzer,« versetzte sie unbefangen, »meine Mutter sang im Chor. Ebenso wie er auf dem Theater seine Evolutionen kommandierte, führte er auch die Reihen der Kämpfenden gegen die Bastille. Er erhielt den Charakter eines Hauptmanns, machte alle Kriege mit. Als Major focht er zu Lützen, ward verwundet, kehrte nach Paris zurück und starb nach einer zweijährigen Krankheit. Wir haben viel gelitten. Als die Bourbonen wiederkamen, meine Mutter ihre Pension nicht erhielt, sanken wir immer tiefer in Armut, so daß wir jetzt sehr fleißig sein müssen, um uns zu ernähren.
Seit kurzem kränkelt nun die arme Frau und fängt an ungeduldig zu werden und die Ergebenheit in ihr trauriges Schicksal zu verlieren. Sie beklagt sich mehr als je. Sie hat einst bessere Tage gesehen. Ich meinesteils werde den Verlust eines Reichtums nicht beklagen, dessen Freuden mir unbekannt sind, und begehre nur ein einziges vom Himmel.«
»Und was?« fragte Eugen mit teilnehmendem Lächeln.
»Daß die Damen immer Tüllstickereien tragen, denn so reicht meine Arbeit zu meinem Unterhalt aus.«
Dies freimütige Geständnis entzückte den jungen Mann, der auch Madame Crochard jetzt mit minder feindseligen Augen betrachtete. Sie nahte sich langsamen Schrittes.
»Nun, Kinder,« rief sie, »habt ihr genug geschwatzt! Wissen Sie wohl, Herr Eugen, daß der kleine Korporal oft auf der Stelle gesessen hat, die Sie inne haben? – Wenn man das bedenkt,« fuhr sie nach einer Pause fort, »der arme Mann! – Mein Gatte hing an ihm mit ganzer Seele. – Ja. Crochard, du bist glücklich, weil du tot bist, denn du hättest nicht überlebt, daß sie deinen Kaiser dorthin gebracht, wo er sich jetzt befindet.«
Eugen legte mit einer bedeutenden Miene einen Finger auf seine Lippen.
Die Alte zuckte die Achseln und versetzte: »Genug – der Mund bleibt zu, die Zunge still. Aber«, fuhr sie fort und zog ein Kreuz an einem roten Bande aus dem Busen, »niemand soll mir wehren zu tragen, was der Bewußte meinem Crochard gab, nur ich nehme es mit ins Grab.«
Bei diesen Worten, welche zur dermaligen Zeit gefährliche Gesinnungen verrieten, erhob sich Eugen rasch und lud die Damen ein, ihm zu folgen. Er führte sie durch die herrlichen Anlagen des Parks, dann verließ er sie einen Augenblick, um bei einem der besten Traiteurs von Taverny die Mahlzeit zu bestellen. Dann verfügte er sich wieder zu seiner Gesellschaft und führte sie auf den Fußsteigen des Gehölzes zum Traiteur.
Das Mahl ward mit Heiterkeit verzehrt: Eugen glich dem schwarzen Schatten, der in der Rue de Tourniquet gesehen worden, nicht im geringsten mehr. Ein lebenslustiger, offenherziger Jüngling, saß er zwischen den Damen, die sorglos heute des Überflusses genossen, ohne des Mangels am morgenden Tage zu gedenken.
Als um 5 Uhr das Mahl mit einigen Champagnerflaschen beendet wurde, tat Eugen den Vorschlag, den ländlichen Ball im Dorfe unter den Kastanienbäumen zu besuchen. Er tanzte mit Karolinen, ihre Hände ruhten, sich zärtlich und leise drückend, ineinander, ihre Herzen klopften höher vor Hoffnung und Freuden. Unter dem heiteren Himmel bei der untergehenden Sonne trafen sich ihre Blicke, und jedem war des anderen Auge mehr als Himmel, Stern und Sonne.
»Der schöne Tag ist zu Ende,« sprach Eugen, da es zu dunkeln begann, mit einer Wehmut, die an sein früheres finsteres Wesen erinnerte.
Karoline versetzte teilnehmend: »Werden Sie in Paris nicht so glücklich sein wie hier – wäre das Glück nur in St. Leu zu Hause? Von heute an werde ich nie wieder unglücklich sein.«
Die Teilnahme hatte sie verleitet, mehr zu sagen, als sie sagen gewollt. Eugen drückte ihre Hand. Sie schlug errötend das Auge nieder.
Man suchte wieder den Wagen auf, Madame Crochard ging dem mutwilligen jungen Paare zu langsam, welches Hand in Hand längs der dichtverwachsenen Allee zu laufen anfing und bald der Mutter aus dem Gesichte kam.
Eugen blieb stehen. – »Teuere Karoline!« rief er heftig. – Diese fühlte die ganze Bedeutung dieses Augenblicks und wich zwei Schritte zurück. Eugen behielt aber seine flehende Stellung,
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