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Lebensbilder II (German Edition)

Lebensbilder II (German Edition)

Titel: Lebensbilder II (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Zuneigung nicht mehr zu trauen – und – ich bin vor der Zeit zu solch einem Greise geworden. Nur noch mit Tieren lasse ich mich ein, denn sie denken nicht, mit Pflanzen, denn es ist etwas Äußerliches, sie haben kein Herz, und alle Herzen betrügen. Ein Pas der Demoiselle Taglioni ist mir mehr wert als alle menschlichen Gefühle! Ich verabscheue eine Welt, auf der ich einsam und allein stehe. Nichts,« fügte der Graf mit einem Tone hinzu, der dem jungen Hörer bis in das Innerste des Herzens drang – »nichts rührt mich, nichts erregt mehr meine Teilnahme.«
    »Haben Sie Kinder?«
    »Kinder?« fragte er mit einem bittern Lächeln. »Je nun, meine Töchter sind alle reich verheiratet, lieben ihre Gatten und werden geliebt. Sie haben ihre Wirtschaft, müssen an ihre Kinder und vor allem an ihre Männer denken. – Meine Söhne – alle haben sie ihr Glück gemacht. – Der Älteste ist ein Muster von einem Regierungsbeamten. Sie haben ihre Sorgen, ihre Bekümmernisse, ihre Geschäfte. Oh, daß doch ein einziges von allen Herzen sich mir geöffnet, hätte doch ein einziger mit seiner Liebe die Leere dieser Brust ausgefüllt. Freilich hätte er sein Lebensglück vielleicht eingebüßt, hätte sich mir geopfert – und wozu das?
    Um die wenigen Jahre zu verschönen, die mir noch bleiben? – Wär's ihm auch gelungen? Hätte ich es nicht vielleicht für eine Schuldigkeit von seiner Seite angesehen? Aber – « hier verzogen sich die Züge des Greises zum höhnischen Lächeln, »aber, mein Herr, nicht umsonst lernt man in Schulen rechnen. Und meine Kinder können rechnen. – Jetzt berechnen sie meine Erbschaft.«
    »Bester Herr Graf, wie können Sie solche Gedanken hegen. Sie, der beste, hilfreichste, großmütigste Mensch? Wahrlich, wenn ich selbst nicht ein lebendiges Zeugnis Ihrer Wohltätigkeit wäre, die Sie in so hohem und vollem Maße üben.«
    »Das geschieht zu meiner Zerstreuung! – Ich bezahle ein Gefühl, wie ich morgen mit einem Goldstücke das allerkindischste Entzücken bezahlen möchte, wenn es meinem Herzen nur nahe geht. Meinem Nächsten helfe ich meinethalben, aus demselben Grunde bin ich ein Spieler. Nur auf Dank rechne ich bei keinem. Ich könnte Sie, mein Herr, sterben sehen, ohne eine Miene zu verziehen, und eben diese Kälte erwarte ich auch bei Ihnen. – Mein lieber, junger Mensch! die Ereignisse meines Lebens haben sich um mein Herz gelegt, wie die Lava über Herkulanum, die Stadt blieb aber – tot.«
    »Wehe denen, die ein so warmes, empfängliches Gemüt, wie das Ihrige, zu solcher Unempfindlichkeit verhärten!«
    »Kein Wort mehr!« rief der Graf mit einer heftigen Gebärde.
    »Sie leiden an einer Krankheit,« sprach der Jüngling gerührt, »deren Hellung Sie mir erlauben mögen.«
    »So geben Sie mir ein Mittel, das Tod bringt!« versetzte der Greis ungeduldig.
    »Nun wohl, Herr Graf! ich habe ein Mittel, Ihr Herz zu erwärmen!«
    »Reden Sie etwa von Talma?«
    »Mein Herr Graf! die Natur ist so über Talma erhaben, wie Talma als Schauspieler über mir steht. Hören Sie an: das Dachgeschoß, das Ihre Neugierde rege machte, wird von einem etwa dreißigjährigen Frauenzimmer bewohnt. Ihre Liebe geht bis ins Unendliche, der Gegenstand ihrer Neigung ist ein junger, siebzehnjähriger, hübscher Mensch, den eine böse Fee mit allen erdenklichen Untugenden begabt hat. Er ist ein Spieler, und es ist zweifelhaft, ob er die Weiber mehr oder den Wein liebt. Er hat Dinge begangen, die eine polizeiliche Strafe verdient hätten.
    Nun! die unglückliche Frau hat ihr ganzes Vermögen geopfert, – einen Mann, der sie anbetete, von dem sie Kinder hatte. Aber was fehlt Ihnen. Herr Graf?«
    «Nichts! fahren Sie fort!«
    »Er brachte sie um alles, was sie hatte. Und die ganze Welt, glaube ich, möchte sie ihm obendrein geben. – Sie arbeitet Tag und Nacht. – Und oft sah sie ohne Murren, wie der Schändliche, den sie liebte, ihr sogar das Geld nahm, das sie zur Kleidung ihrer Kinder, zur Nahrung für den anderen Tag bestimmt.
    Vor drei Tagen verkaufte sie ihr Haar. Niemals sah ich schönere Flechten. – Ihr Geliebter kam, sie versteckte nicht geschickt genug das Goldstück, das sie dafür bekommen. Eine Liebkosung, ein Lächeln reichte hin, und sie gab es ihm. – Es ist rührend und entsetzlich zugleich, es zu hören. Die Arbeit, die Not bleicht ihre Wangen, sie schwindet täglich mehr hin. Das Schreien ihrer Kinder nach Brot zerreißt ihre Seele. – Heut ist sie krank, liegt auf hartem Lager, die

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