Lebenselixier
fantasievoller
Tatsachenbericht.
Bis er auftauchte!
Sein Name lautete Patrick. Kennengelernt hatte sie ihn in den vergangenen
Sommerferien.
Hannah hatte
Erika die Reise nach München erlaubt, weil es sich um eine katholische
Mädchenfreizeit handelte. Auf dem täglichen Besichtigungsprogramm standen
Kirchen und Museen. Allerdings hatten einige der Mädchen es verstanden,
zumindest die Nächte völlig anders zu gestalten.
Vincente beschloss, mit den Damen des katholischen Frauenvereins, die jedes
Jahr eine ähnliche Freizeit durchführten, ein ernstes Wort zu reden. Es war gar
zu naiv zu glauben, eine Horde Teenager bändigen zu können, indem man sie
zwang, um zehn Uhr das Licht auszuschalten. Die Mädchen hatten sich durch ein
tief liegendes Fenster der Jugendherberge aus dem Staub gemacht.
In einem der Klubs, in denen sie sich bis zum frühen Morgen herumtrieben,
lernte Erika den Mann kennen, der ihre Fantasie nie geahnte Blüten treiben
ließ. Dennoch beschrieb sie sein Aussehen, seine Art sich zu bewegen, wie er sie
küsste, mit dem gleichen, eher schmucklosen Vokabular. Tatsächlich war nichts
Schockierendes an den ersten Begegnungen der beiden. Bis zu dem Punkt, an dem
Patrick Erika überredete, mit ihm nach Hause zu gehen.
Vincente fühlte
sich flau im Magen, als er las, wie Erika sich die Augen verbinden ließ,
nachdem sie in seinen silbernen BMW gestiegen war. Er durfte ihr nicht zeigen,
wo er lebte, behauptete er. Dabei hatte Vincente Erika für so ein kluges
Mädchen gehalten.
Dass der Mann sie später in einem Raum, der eher einem Hotelzimmer als einer
Wohnung glich, ohne große Umstände auf das Bett schubste und beschlief war zu
erwarten gewesen. Erika beschrieb in ihrer unverstellten Offenheit recht
drastisch, wie sie ihre Jungfräulichkeit verlor. Vincente konnte sich
problemlos vorstellen, dass Hannah bereits an diesem Punkt einem
Nervenzusammenbruch nahe war. Kein Wunder, wenn der Rest der Geschichte sie an
den Rand des Wahnsinns brachte.
Erika schilderte,
wie Patrick spitze Eckzähne wuchsen, die er in ihrem Hals versenkte. Sie
schrieb von ihrer Überraschung, ihrem Unglauben. Aber auch, dass sie sich nicht
fürchtete, als sie spürte, wie Patrick saugte und trank, weil die Lust, die er
ihr bereitete, sie völlig überwältigte.
Das Summen in
seinem Kopf konnte Vincente nicht allein der späten Stunde oder dem Cognac
anlasten. Es war der unvermittelte und gerade deshalb so bezwingende
Realitätsverlust.
Vincente betrachtete seinen Beruf als Berufung, doch er war weit davon
entfernt, ein Mystiker zu sein. Keinesfalls glaubte er an teuflische Kreaturen,
die nachts umherschlichen und jungen Frauen Blut abzapften.
Patrick versprach
Erika, dass sie ihn wiedersehen würde und er hielt Wort.
Eine knappe Woche, nachdem sie wieder zu Hause war, wachte Erika gegen
Mitternacht auf, weil sie Patricks Stimme in ihrem Kopf hörte. Sie schlich die
Treppe hinunter ins Wohnzimmer und sah den Mann, nach dem sie sich seit Tagen
sehnte, auf der Terrasse stehen. Sie öffnete die Tür, ließ ihn ins Haus und in
ihr Zimmer.
Wenn man Erikas Berichten Glauben schenkte, besuchte Patrick sie zwei bis drei
Mal im Monat. Jedes Mal ließ sie ihn ins Haus, während ihre Schwester fest
schlief. Er ging mit ihr auf ihr Zimmer, schlief mit ihr und trank dabei von
ihrem Blut.
Erika fieberte jeden dieser Besuche herbei. Sie bedauerte, dass er ihr keine
Adresse oder Telefonnummer geben wollte. Und sie wunderte sich, weil Hannah
nicht aufwachte, obwohl sie es sich niemals verkneifen konnte, vor Lust laut zu
schreien.
In der Zwischenzeit beschrieb Erika in vertrauter Weise ihren Alltag,
schnörkellos, realistisch und wahrheitsgetreu.
Eines Tages
erschien Erikas wundersamer Liebhaber und kündigte an, dass er sie bald nicht
mehr besuchen konnte. Er hatte eine Arbeitsstelle in England gefunden, erklärte
er ihr. Vampire mussten also ihren Lebensunterhalt verdienen!
Und sein Vater verlangte von ihm, dass er sie annahm.
Offenbar hatten Blutsauger strenge Eltern! Erika war es, die Patrick bat, sie mitzunehmen, sobald sie achtzehn wurde -
und sie war selig, als er zustimmte.
Geistig ausgelaugt studierte der Priester Erikas Überlegungen, was sie
mitnehmen sollte, wenn Patrick sie holen kam. An diesem Punkt endete das
Tagebuch.
Vor der
Morgendämmerung verließ Vincente das Pfarrhaus. Er durchquerte seinen Garten
und betrat die Elisabethenkirche durch die Sakristei. Das war nichts
Ungewöhnliches. Wenn er seine Gedanken ordnen
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