Lebenselixier
Fänge eines solchen Verrückten
geraten war. Immerhin könnte er ihr Weltbild ein Stückchen in Richtung Realität
zurechtrücken.
Es war noch früh
am Abend und Vincente fühlte sich durch seinen schnellen Rechercheerfolg
regelrecht aufgekratzt. Wenn dieses Lokal sich als ältester Treffpunkt
bezeichnete, musste es auch neuere geben.
Eine drei viertel Stunde später hatte Vincente in diversen deutschen
Großstädten Klubs gefunden, die sich selbst als Anlaufstelle für Vampire
anpriesen. Wer hätte vermutet, dass so viele Menschen diesem schrägen Hobby
nachgingen? Das zurzeit angesagteste Etablissement dieser Art schien ein Klub
in Köln zu sein, der Raven hieß. Auf der Homepage entdeckte er ein
Interview, das eine örtliche Tageszeitung kurz vor der Eröffnung mit den beiden
Betreibern geführt hatte, inklusive Schwarz-Weiß-Fotos der jungen Männer. Der
größere, dunkelhaarige führte das Wort und kokettierte damit, dass Sterbliche ihr Lokal auf eigenes Risiko betraten. Schließlich sei die Möglichkeit nicht
auszuschließen, echten Dämonen der Finsternis zu begegnen.
Schon sonderbar, dass dieser geschäftstüchtige junge Mann die gleiche Formulierung
benutzte, die sein verwirrter alter Küster gewählt hatte.
Vincente tippte die drei Worte in die Suchmaschine ein. Nie hätte er erwartet,
mit einer derartigen Anfrage so viele Treffer zu bekommen. Ihm fiel ein
englischsprachiges Forum ins Auge, in dem der Begriff „Blooddrinker“ auftauchte. Vincente schaffte es, sich anzumelden, ohne allzu viel über sich
preiszugeben. Selbstverständlich vermied er es hinauszuposaunen, dass ein
Priester nach Vampiren forschte. Er unterhielt sich mit ein paar Leuten. Da gab
es zum Beispiel eine ältere Hausfrau, die felsenfest überzeugt war, von einem
Vampir aus ihrer Nachbarschaft verführt worden zu sein. Und einen Burschen, der
sich selbst als Vampirjäger bezeichnete.
Gerade als
Vincente beschloss, dass es Fälle seelischer Verirrung gab, die er besser den
Psychiatern überließ, geriet er an einen Mann, der behauptete, die Bluttrinker wissenschaftlich zu erforschen. Er bedrängte den Priester, sich in der Realität
mit ihm zu treffen, was natürlich überhaupt nicht infrage kam.
Ein Blick auf die Uhr machte Vincente klar, dass er sich schon wieder die halbe
Nacht um die Ohren geschlagen hatte. Bevor er seinen Gesprächspartner
einigermaßen höflich abwimmeln konnte, übermittelte dieser ihm noch seine
Telefonnummer.
„Wenn du einen bestimmten Vampir finden willst, wirst du Hilfe brauchen. Wen
auch immer du an diese Bestien verloren hast, ich bin der Einzige, der dir
helfen kann!“
02
„Um Himmels
willen.“ Tony seufzte ins Telefon. „Ich bin doch nicht aus der Welt!“
Aufgebracht wanderte sie zwischen Küchentheke und Esstisch umher.
„Mama, ich hab noch nie gehört, dass Hausbootbewohner ertrunken wären. Und ich
bin bestimmt nicht die Erste.“
Lukas flüchtete
ins Arbeitszimmer um seine Notebook-Tasche zu packen, entschlossen, das
Gespräch zu ignorieren. Tonys mangelnde Geduld mit ihrer Mutter bereitete ihm
ein Unbehagen, das er widerwillig als schlechtes Gewissen erkannte.
Zuerst suchte ihre Tochter sich einen Mann aus, von dem die konservative Frau
instinktiv ahnte, dass er nicht zu der Welt gehörte, die sie kannte. Dann
verschwand Tony über Weihnachten spurlos von der Bildfläche, um nur wenige
Wochen später zu verkünden, dass sie in die Niederlande übersiedeln wollte –
und zwar im Verlauf der nächsten Tage!
Es war nicht Margarethes Schuld, wenn Tony sich außerstande sah, vernünftige
Erklärungen für ihr Verhalten zu geben. Das Problem lag bei ihm. Schließlich
konnte sie ihrer Mutter nicht erzählen, dass sie mit einem Bluttrinker
zusammenlebte.
Lukas schloss die
schwarze Nylontasche und sah sich ein letztes Mal um. Eine Spedition hatte
bereits am Vormittag die Kisten mit den Büchern, CDs und anderen persönlichen
Dingen abgeholt, auf die sie in ihrem neuen Zuhause nicht verzichten wollten.
Die Türklingel klimperte melodisch. Das mussten seine Eltern sein. „Ich gehe!“,
rief er Tony zu.
„Hallo Nora.
Johann.“ Lukas ließ zu, dass seine Mutter ihn umarmte und auf die Wange küsste.
Seinem Vater nickte er über ihre Schulter hinweg zu. „Tony telefoniert mit
ihrer Familie“, erklärte er leise.
„Oh, hallo!“ Tony
winkte ihren Schwiegereltern , lauschte noch einen Moment mit ratloser
Miene der Stimme aus dem Hörer und entschloss sich zu einer Lüge.
„Mama, die
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