Lebenselixier
wirken, gab es aber schnell auf. „Er ist eben etwas
ganz besonders.“ In ihrer Stimme klang, ein wenig verschämt, Besitzerstolz mit.
Thomas runzelte die Stirn. „Klar ist er das. Du bist verliebt!“, neckte er sie.
„Das sollte ich auch, oder? Wir werden vielleicht Jahrhunderte zusammen sein.“
Den Blick, den Thomas ihr zuwarf, konnte sie nicht einordnen, was
möglicherweise an ihrem Alkoholpegel lag. Eine Spur Neid schien darin zu
liegen.
Worauf sollte Thomas sie beneiden?
„Es tut gut, mal
mit jemandem zu reden, der nichts mit diesem ganzen Sexgeschäft zu tun hat“,
seufzte er.
Tony warf ihm einen traurigen Blick zu. „Ich würde das auf keinen Fall aushalten.
Außerdem, wenn ich daran denke, wie besitzergreifend Lukas sein kann. Als ich
damals in diesem durchsichtigen Kleid hierher kommen wollte, ist er beinahe
ausgerastet. Stört es Jan denn nicht, wenn alle dich in diesen knappen
Klamotten angaffen?“
„Wie vieles im Leben ist auch das relativ“, meinte Thomas rätselhaft und
verteilte den restlichen Wein. Tony spürte sein Zögern, schließlich sprach er
weiter. „Als ich Jan kennenlernte, war ich drogenabhängig und ging auf den
Strich. Das hat ihn allerdings gestört.“
Tony öffnete den Mund, bevor ihr Gehirn sein überraschendes Geständnis
verarbeiten konnte. Und er blieb offen, als ihr keine Antwort einfiel.
Thomas grinste gezwungen. „Du musst dazu wirklich nichts sagen.“
„Doch! Das tut mir leid. Ich meine, das war bestimmt ganz furchtbar für dich.“
Thomas musterte
sie verwundert. Im Raven arbeiteten ein paar Dutzend Sterbliche, die sich
prostituierten. Die meisten waren Frauen, ein paar junge Männer. Keiner von
ihnen wusste von seiner Vergangenheit. Ausgerechnet bei dieser unbedarften
Frau, die sich das Leben, das er geführt hatte, nicht andeutungsweise
vorstellen konnte, hatte er das Bedürfnis, seine Lebensgeschichte auszubreiten.
Hatte er wirklich so viel getrunken?
„Du brauchst mich
nicht zu bedauern, Tony“, behauptete er.
Während er seinen Worten nachlauschte, wurde ihm klar, dass das nicht stimmte.
Ein Teil von ihm wünschte sich jemanden, der den Jungen, der er einmal war,
bedauerte. Seine Kolleginnen und Kollegen im Raven erschienen dazu denkbar
ungeeignet. Sie waren vollauf damit beschäftigt, sich schönzureden, dass ihr
eigenes Leben grade den Bach runter ging.
„Ich bin
jedenfalls froh, dass es dir jetzt besser geht.“ Tony legte den Kopf schief.
„Es geht dir doch gut?“
„Ja, ich … fühle mich wohl mit Jan.“
Er wich ihrem traurig-alarmierten Blick aus. Selbstverständlich erwartete sie
von ihm Beteuerungen, wie sehr er den Bluttrinker, mit dem er sich verbunden
hatte, liebte.
„Große Gefühle“, er zeichnete Gänsefüßchen in die Luft“, liegen mir nicht so,
Tony. Ich sehe die ganze Sache eher als eine Zweckgemeinschaft. So etwas wie
eine Symbiose vielleicht. Ja, genau. Symbiose ist das richtige Wort dafür.“
Ihr Gesichtsausdruck war schwer zu ertragen. Er suchte nach Worten, die ihre
Vorstellungen nicht allzu sehr verletzten.
„Manchmal - hinterlässt das Leben Spuren. Und die verschwinden nicht einfach,
nur weil es einem irgendwann besser geht. - Ich bin neidisch auf dich“, gestand
er. „Du hast nicht sonderlich viele Erfahrungen mit Männern gemacht, bevor du
Lukas getroffen hast, nicht?“ Er schüttelte den Kopf, als Tony errötete. „Das
soll dir nicht peinlich sein. Das ist doch schön! Ich meine, diese ganze
Gefühlskiste - man liebt sich, man möchte zusammen sein - wirkt bei dir so
unkompliziert. In Gefühlsdingen bin ich eher misstrauisch. Und die meisten
Leute, die ich kenne, sind noch schlimmer als ich.“
„Hast du ...“ Tony zögerte. Ihre Geste schloss das ganze Gebäude ein. Auch die
Blutbar im Erdgeschoss. „Habt ihr schon mal drüber nachgedacht, was anderes zu
machen, du und Jan?“
„Tatsächlich mache ich was anderes.“ Er grinste schief, als wäre ihm peinlich,
was jetzt kam. „Ich habe im letzten Frühjahr Abitur gemacht und angefangen
Betriebswirtschaft zu studieren. Fernstudium. Du kennst das ja. Die
Zeiteinteilung mit einem Bluttrinker ist - eigen.“
„Das ist toll!“ Tonys Begeisterung war so echt, dass Thomas sich unwillkürlich
entspannte. Auch über dieses Thema sprach er nie mit seinen Kollegen.
„Ich wünschte,
ich würde mit meinem Kram weiterkommen“, sprudelte es aus Tony hervor. „Wenigstens
weiß ich jetzt etwas besser, was ich nicht will.“ Sie verzog das Gesicht. Unter
Thomas
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