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Lebenslänglich Klassenfahrt: Mehr vom Lehrerkind (German Edition)

Lebenslänglich Klassenfahrt: Mehr vom Lehrerkind (German Edition)

Titel: Lebenslänglich Klassenfahrt: Mehr vom Lehrerkind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastian Bielendorfer
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ankommende Flut vom Lehrerpult gespült hätte.
    Diese Engstirnigkeit führte dazu, dass die Hälfte der Klasse Herrn Jünschkes Ausführungen mangels Sprachkenntnis nicht folgen konnte. Wenn der andere, etwas begabtere Teil versuchte, zumindest seine Fragen korrekt zu beantworten, endete das meist mit ausufernden Korrekturen vonseiten des Pädagogen, die der Antwortende dann doch wieder nicht verstand. A vicious circle, hätte Herr Jünschke gesagt, wenn ihm dieses Problem je aufgefallen wäre.
    »You wanted to say, we go to Hastings in Great Britain, right?«, beendete Herr Jünschke die Diskussion, indem er Sören die richtige Grammatik in den Mund legte.
    Mittlerweile hatte selbst der dümmste Backfisch gemerkt, dass man sich nun leicht aus der Affäre ziehen konnte, indem man das Codewort für Frontalbeschuler rief: »REIT«, brüllte Sören daher radebrechend, als würde er den Imperativ auf einem Pferdehof üben. Herr Jünschke nickte zufrieden, so machte Unterrichten Spaß – nur dass Herr Jünschke mit dieser Methode problemloser einen Sack voll Kies unterrichtet hätte als eine zehnte Klasse. Solange jemand zwischendurch auf seine Frage »REIT« antwortete, war er glücklich.
    Hastings, ein in den harten Küstenfels getriebenes Städtchen an Englands Südküste, sollte das Ziel unserer Klassenfahrt sein. Den genauen Grund, warum unser Schüleraustausch ausgerechnet mit dem eher unspektakulären Hastings stattfand und wir uns alternativ nicht einfach eine Fabrik zur Herstellung von Wellpappe ansahen, hatte er der Klasse noch nicht hinreichend erklären können. Es musste wohl irgendwas mit den wilden Schlachten auf einem Acker in der Grafschaft zu tun haben, denn Herr Jünschke war gänzlich euphorisiert, wenn er von Hastings als Schauplatz der Schlacht zwischen Wilhelm dem Eroberer und Harald dem Zweiten erzählte. Dass von der kriegerischen Hochkultur der Briten mittlerweile nur noch eine im europäischen Vergleich übergewichtige, segelohrige und sommersprossige Bevölkerung übrig war, die selbst Herr Jünschke mit einem »The Englishmen are very special« euphemisierte, schien seiner Vorfreude keinen Abbruch zu tun.
    Und eigentlich war es doch auch egal, wohin uns dieser arme Lord of the Lost verschleppte, Hauptsache, ich würde Ashley nicht zufällig über den Weg laufen und irgendwie meine Zeit mit Taylor, meinem Austauschschüler, überstehen.
    »Warum fahn wa denn nicht nach Chelsea?«, maulte Fabian Brock noch ein letztes Mal.
    »In English, PLEASE!«, erhob Herr Jünschke seine Stimme. Fabians Frage war durchaus berechtigt, denn für die meisten von uns war England allein durch seine Fußballklubs kartografiert, Manchester United, Arsenal, Chelsea, der FC Liverpool – alles andere waren nur Randmarken auf dem Globus, unsere Landkarte kannte nur die Premier League.
    »Why don’t we go to Chelsea, Herr Jünschke?«, fragte Fabian noch mal standesgemäß, worauf ihn Herr Jünschke sofort aufklärte: »Because Chelsea is no town to travel to, it’s just a part of the biggest City in the UK … which city do I mean?«
    Es herrschte eisiges Schweigen in der Klasse, die meisten wussten sehr wahrscheinlich die Antwort, aber freiwillige Mitarbeit war seit dem Einsetzen der Pubertät abgeschafft.
    »I’m speaking about London, right?«, gab sich Herr Jünschke mal wieder selbst die Antwort.
    »Reit«, brüllte jemand aus der ersten Reihe. Schule konnte so schön sein.

One Night in Pamela
    Monoton zog die orangefarbene Beleuchtung einer belgischen Autobahn am Fenster vorbei, während der Reisebus, der uns nach England bringen sollte, donnernd über die leeren Straßen rollte. Holland war wohl schon im Bett, und auch Herr Jünschke saß schnarchend auf dem Lehrersitz direkt hinter dem Busfahrer. Frau Möbus hatte sich in eine Shakespeare-Originalausgabe vertieft und blätterte in regelmäßigen Abständen mit sorgfältig beseibertem Zeigefinger um.
    Neben mir saß Patrick und schmökerte mit zusammengekniffenen Augen in einem Gitarrenmagazin, das fahle Lichtkegelchen, das von der Minilampe über unseren Köpfen kam, flackerte wie ein asthmatisches Glühwürmchen.
    Bevor Herr Jünschke in einen traumlosen Schlaf gestürzt war, hatte er noch eine alte VHS-Kassette mit Sketchen von Mr Bean in den Rekorder neben Manfred dem Busfahrer geschoben. Jetzt versuchte der biedere Klischeeengländer zum geschätzt hundertsten Mal, sich vor einem blinden Mann im Klappstuhl umzuziehen. Nur Martina Drökelmann, gegen

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