Lebenslänglich Klassenfahrt: Mehr vom Lehrerkind (German Edition)
durch einen sonst zu umfliegenden Sturm donnert oder irgendwo in der Walachei notlanden muss. Dementsprechend kann sich die Anreise ein wenig hinziehen, ebenso sind sonstige Annehmlichkeiten, die bei Pauschalreisen sonst üblich sind, in Billigfliegern nicht kostenlos. Getränke oder muffige Käse-Schinken-Brötchen müssen extra bezahlt werden, und die Spirituosenpreise führen dazu, dass die Klasse ausgenüchtert am Flughafen von Palma de Mallorca landet. Trösten kann sich die Klasse aber dafür mit mannshohen
Ryan-Air
-Aufblasboeings zum Planschen im Mittelmeer, man will ja auf nichts verzichten.
Wenn man nach Sangria-Eimer und einem Besuch im Oberbayern noch Geld übrig hat, sollten sich gutgläubige Teenager vor den zahllosen Rubbel-Los-Verschenkern und Gewinnspielständen in Acht nehmen. Dort gewinnt man zwar immer den Hauptgewinn, meist eine Videokamera oder einen Laptop. Wenn der Schüler dann begeistert seinen Gewinn einlösen will, wird er vor den Augen der versammelten Klasse in ein Taxi bugsiert und kehrt erst am späten Abend wieder zurück. Dann hat er zwar eine Videokamera gewonnen (die sich später als Schuhkarton mit Loch entpuppt), zugleich aber auch Anteilsscheine einer Ferienanlage erworben, die er nach den Regularien der Time-Sharing-Firma, bei der er zuvor einen vierzigseitigen Vertrag unterschrieben hat, nun zwei Stunden im Jahr frei nutzen darf.
Unterbringung
Natürlich erlauben die finanziellen Umstände nur klassische Bettenbunker, aber auch wenn die Plattenbausünden aussehen wie die Silhouette eines Vororts von Wladiwostok, sind die Schüler schon überglücklich, dass sie nicht das x-te Mal durch die Überreste einer römischen Siedlung in Xanten oder das deutsche Tapetenmuseum gescheucht werden.
Die meiste Zeit verbringt die Klasse ohnehin am Strand, so ist das Elend der eigenen Unterbringung weniger präsent. Sollten Schüler aus Hygienegründen vorsorgen wollen, sei ihnen geraten, sich vorher mit einer Laminiermaschine komplett in Plastik hüllen zu lassen. Anders kann man der Keimbelastung der siffigen Badezimmer und der Matratzen, die meist wie das Lätzchen von Rainer Calmund aussehen, nicht entgehen.
Doch Vorsicht mit dem Reisezeitraum! Sollte der Klassenlehrer das überraschend günstige Sternehotel zwischen November und März in Betracht ziehen, bietet sich alternativ auch ein einwöchiger Besuch in der Müllverbrennungsanlage an. Denn im Winter ist Mallorca toter als Elvis. Die Touristenscharen weichen ein paar abgehärteten Wanderurlaubern und Senioren, die ihren Lebensabend unter mediterraner Sonne genießen wollen, die es im Winter aber erstaunlich selten zu bestaunen gibt. Auch das Meer ist im Winter nur für Hartgesottene zu empfehlen. Wo im Sommer noch Hunderttausende Urlauber begeistert im badewannenwarmen Wasser schwimmen, entsteigen die Schüler im Winter als Eiszapfen dem Mittelmeer, wenn sie nicht vorher von einem planschenden Eisbären gerissen werden.
Der Native Speaker
»Okay Sören, please tell us where we are going for our exchange«, näselte Herr Jünschke in seinem jahrelang trainierten Oxford-Dialekt, den er wohl wie seine Pullover im Pringle-Muster bei Land’s End bestellt hatte.
»We go to the Great Britain, Herr Jünschke!«, sagte Sören stolz – immerhin war er nach fünf Jahren Englischunterricht schon bald so weit, einen Big Mac im Drive-in bestellen zu können. Die straffe Haut um Herrn Jünschkes erwartungsvoll aufgerissene Augen schrumpelte auf einen Schlag zurück, als wäre sein Gesicht plötzlich erodiert.
»No Sören, Great Britain is not a person, it’s a country, and we don’t use the word ›the‹ in front of a country!«, sagte Herr Jünschke mit erhobenem Zeigefinger.
»Watt?«, transkribierte Sören das englische Fragewort in Ruhrpottdeutsch und brachte damit zum Ausdruck, was die Hälfte von uns dachte.
Denn Herr Jünschke hatte die besonders bei Englischlehrern auftretende Angewohnheit, nie aus der Rolle des Sprachmissionars zu fallen. Sobald er unseren Klassenraum betrat, vergaß er seine Muttersprache Deutsch und wurde zu einem Native Speaker, der uns right away from the Motherland of descent language ins geistige Sparprogramm führte. Wir waren uns sicher: Selbst wenn das Gebäude in Flammen gestanden oder ein Rohrbruch Tausende Liter Abwasser in die Schulflure gepumpt hätte, wäre ihm das höchstens ein »The school is burning« wert gewesen oder ein »We’re about to drown in shit« entfleucht, bevor ihn die
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