Lebenslänglich Klassenfahrt: Mehr vom Lehrerkind (German Edition)
Deckstarre erinnerte. Dann drehte er sich um und trat wortlos aus dem Bus und auf Herrn Jünschke zu, der daraufhin präventiv in Angstschweiß ausbrach.
»Oh Kacke«, sprach Kemal etwas verloren und schaute uns ratlos an.
»Wir decken dich, egal, watt is«, sagte Patrick todernst. Wie wollte er das machen? »Nein, Monsieur Inspecteur, wir kennen diese Pamela Anderson gar nicht, wir dachten, das sei eine Reisedokumentation«?
»Kemal, komm mal«, wurde der Delinquent gerufen, und mit unsicheren Schritten und gespreizten O-Beinen wankte unser Topterrorist zum Ausgang.
»Dein türkischer Pass ist abgelaufen, die wollen dich so nicht ausreisen lassen«, sagte Herr Jünschke im klassischen Beerdigungston, den er sich sonst für die Notenvergabe aufsparte. Er hatte sich also wieder gefangen.
Vor der Tür wurde diskutiert, der Pass sei erst seit drei Tagen abgelaufen, ein Umstand, der vonseiten unserer französischen Staatsbeamten wohl nicht zu tolerieren war, eine Einreise in das United Kingdom sei für Kemal so geradezu undenkbar. Außerdem war es auch eigenartig, dass Kemal zwar problemlos einreisen, aber nicht wieder ausreisen durfte. Wahrscheinlich lag es an den offensichtlich angetrunkenen belgischen Zöllnern, die uns bei der Einfahrt in die Grande Nation einfach fröhlich durchgewinkt hatten. Auch Herrn Jünschkes ambitioniertes Argument, man könne den Jungen ja jetzt schlecht irgendwo in einen Zug zurück Richtung Heimat schicken, stieß auf taube Ohren. Der Delinquent Kemal stand schuldbewusst neben ihm, später erzählte er uns, dass er Herrn Jünschke die ganze Zeit zu signalisieren versucht hatte, dass jetzt nur noch Bestechung helfe. Woher Kemal solches Fachwissen besaß, verriet er nicht. Herr Jünschke verstand jedenfalls irgendwann Kemals nonverbale Zeichen, der die ganze Zeit mit seinem Finger auf sein Portemonnaie deutete, und kramte einen Teil seines Reisegeldes hervor. Unter lautem »Non!« schüttelten die Zollbeamten jedoch sofort synchron die Köpfe. Wahrscheinlich wurde unser Englischlehrer jetzt gleich getasert und Kemal in Abschiebehaft gesteckt.
Aber nein, nachdem die Beamten ausdrücklich betonten, dass sie Bestechung in Form von Geld auf keinen Fall annehmen könnten, warfen sie hinterher, dass Völkerverständigung durch Geschenke hingegen eine andere Sache sei. So war Herr Jünschke zwar wenige Minuten später um seine Armbanduhr erleichtert, doch immerhin saß nun wieder ein grinsender Kemal im Bus und machte Furzgeräusche auf seinem Handrücken.
Schlussendlich schluckte uns das Schiff doch noch, und um uns herum stapelten sich VW-Busse und andere Familienmobile, die direkt nach der Einfahrt in die Fähre gähnende Kinder, sich streckende Väter in albernen Jogginghosen und Mütter mit Tupper-Dosen ausspuckten. Herr Jünschke wirkte immer noch leicht unsicher auf den Beinen, die wenigen Stunden Klassenfahrt hatten ihn wohl jetzt schon mehr Nerven und Gehirnzellen gekostet, als wenn er einfach eine Flasche Terpentin getrunken hätte.
Die Fähre war eine schwimmende Tristesse, abgelaufene rote Brokatböden, verblichene Werbeanzeigen für Alkohol aus dem Duty-free-Shops, Spielautomaten, in die ein paar verschlafene Lkw-Fahrer Geldstücke einwarfen.
»Bleibt in Gruppen zusammen, pünktlich in einer Stunde treffen wir uns wieder hier … und macht keinen Quatsch!«, quiekte Frau Möbus affektlos, die Aufforderung verhallte in der Filterluft der Innenkabine. Erschöpft ließ sie sich neben Herrn Jünschke in eine Sitzschale fallen, kurz darauf klappte ihr Kopf in den Nacken wie bei einem PEZ -Spender. Eine Gruppe Teenager um zivilen Gehorsam zu bitten war ähnlich hoffnungslos, wie einer Horde brandschatzender, bluttrinkender Wikinger »Jetzt aber ma’ schön lieb sein, sonst gibbet keine Sahne auf den Kakao vorm Schlafengehen« zuzurufen. Unser Lehrerkörper schien sich dessen bewusst zu sein, denn nach wenigen Augenblicken schnarchte der PEZ -Spender selig, während Herr Jünschke immer noch erschüttert auf die braune See starrte.
Die Wikinger hatten mittlerweile einen Großteil der Fähre erobert, Kemal bekniete einen niederländischen LKW-Fahrer, ob er auch mal ein Pfund in den Einarmigen Banditen einwerfen dürfe, die Mädchen besprühten sich mit einer Mischung aller Parfüms, die der Duty-free-Shop anzubieten hatte, und rochen nun wie ein Fischmarkt in der Sonne.
»Komm, lass mal an Deck gehen«, sagte Patrick und schob sich seine Mütze noch etwas tiefer ins Gesicht, ein
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