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Lebenslänglich Klassenfahrt: Mehr vom Lehrerkind (German Edition)

Lebenslänglich Klassenfahrt: Mehr vom Lehrerkind (German Edition)

Titel: Lebenslänglich Klassenfahrt: Mehr vom Lehrerkind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastian Bielendorfer
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die anderen zum kollektiven Aufbruch an.
Gerade als auch ich meine Sachen packen wollte, drang ein leises Wimmern durch die Luftschlitze an der Unterseite der Schranktür.
»Frau Löffler?«, fragte ich leise und klopfte leicht gegen die Schranktür.
»Geh weg … geh nach Hause«, schluchzte es mir dumpf durch die Lüftungsschlitze entgegen.
»Und was machen Sie?«
»Ich bleibe hier drin …«, war Frau Löfflers zugegeben etwas kindische Antwort.
»Für immer?«, war meine ebenso kindische Entgegnung.
»Ja, für immer, und jetzt GEH!«
Ich sah schon Archäologen in ein paar Tausend Jahren einen Buchenfurnierschrank im Sediment ausgraben, in dem die mumifizierten Überreste meiner Erdkundelehrerin im Motivpullover voller heulender Wölfe zu finden waren.
»Der Gökhan hat das nicht so gemeint, Frau Löffler!«, sagte ich und wusste ebenso wie sie, dass das gelogen war. Gökhan hatte es ganz sicher so gemeint. Gäbe es nicht Hindernisse wie Gefängnisse und Abschiebungsanträge, hätte er wahrscheinlich längst die Schule abgefackelt.
Schweigen. Keine Antwort mehr von der Pädagogin aus ihrer selbst erwählten Einzelzelle. Frau Löffler hatte endgültig alle Verbindungen nach außen gekappt, sie war auf der dunklen Seite des Mondes angekommen.
Kurz überlegte ich, zum Sekretariat zu gehen, um den Schulleiter zu bitten, Frau Löffler aus dem Schrank zu holen, doch dann wurde mir klar, dass das ihre Situation nicht unbedingt verbessert hätte.
Dann ging ich zu meinem Rucksack und holte mein Erdkundeheft hervor, auf dessen Vorderseite ein hechelnder Dackel in einem Flechtkorb abgebildet war, das war im Schulkontext fast so schlimm wie ein Motivpullover. Ich klappte die einzelnen Seiten auf und schob das Heft durch einen der Luftschlitze des Schranks. Ich hörte, wie eine kleine Hand danach griff und kraftlos darin herumblätterte.
»Du auch?«, drang es nach ein paar Sekunden flüsterleise durch die Holzwand.
»Ja, ich auch«, sagte ich und nahm mein Heft wieder durch einen der Luftschlitze entgegen. Ich blätterte noch mal die Seiten durch. Alles voller Penisse, die mir meine Sitznachbarn ins Heft gemalt hatten, manchmal mit Gesicht und Frisur, manchmal einfach nur mit meinem Namen drauf.
Kurz dachte ich darüber nach, selbst in den Schrank zu kriechen, aber anscheinend hatte mein Versuch, Frau Löffler zu zeigen, dass man solche Erlebnisse auch verdauen kann, ohne sich im Mobiliar einzusperren, Erfolg. Das Türschloss knackte, und plötzlich stand die kleine Frau mit dem Pagenschnitt vor mir.
»Danke«, sagte sie und drückte meine Hand.

Ein Himmelfahrtskommando
    »Ich fahre dieses Jahr übrigens bei der Skifreizeit mit«, eröffnete ich meinen Eltern eines Nachmittags. Ihre Kinnladen klappten simultan herunter, als hätte ich gerade meine Konvertierung zum Islam bekannt gegeben.
    »Was willst du denn beim Skifahren, das ist doch Sport?«, fragte meine Mutter, die gerade im Fressnapf -Katalog nach passenden Westen für unsere Dogge Adenauer shoppte. Gerade hatte sie ein winterfestes Modell mit der Aufschrift »Kampfscheißer« angekreuzt.
    »Warum denn nicht, viele Leute fahren Ski«, hielt ich genervt dagegen. Mein Entschluss war gefallen, basta, jetzt mussten meine Eltern nur noch die 780 Mark Fahrgeld lockermachen. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie das taten, war zwar geringer, als dass sie auf meine Bitte hin einem Wanderzirkus beitraten, aber egal, ich musste es versuchen.
    »Das überstehst du doch eh nicht«, stellte mein Vater nüchtern fest. »Geh doch lieber in ein Terrorcamp, da stehen deine Überlebenschancen besser«, sagte er und konnte sich das Lachen nicht verkneifen.
    Sie hatten recht, die Gefahr, dass ich ohne Beine, ohne Kopf oder ohne beides zurückkehrte, war nicht allzu gering, aber ich war bereit, das Risiko auf mich zu nehmen.
    Aber es gab natürlich einen triftigen Grund, warum ich ausgerechnet in die bitterkalten Berge reisen wollte, anstatt es mir auf der alternativen Klassenfahrt in die Toskana bei einem Cocktail unter der Mittelmeersonne gemütlich zu machen. Hanna fuhr Ski.
    Patrick hatte sofort abgewinkt und mich für verrückt erklärt, dass ich unsere Stufenfahrt wirklich auf so fremdem Terrain verbringen wollte. Auch seinen Hinweis, fünfhundert Kilometer jenseits der italienischen Alpen gebe es ebenfalls schöne Frauen, ignorierte ich geflissentlich. Eigentlich war ich sogar ganz froh, dass wir ausnahmsweise nicht zusammen fuhren, dann blieb mir mit Hanna wenigstens so eine

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