Lebenslänglich Klassenfahrt: Mehr vom Lehrerkind (German Edition)
Wohnzimmer hatte Ludmilla ein Festmahl aufgebaut, das vermuten ließ, die Hochzeit würde nicht erst am nächsten Tag, sondern gleich hier und heute erfolgen.
Nachdem wir uns durch Borschtsch, Piroschki, Pampuschki und ein halbes Spanferkel gefuttert hatten – natürlich unter der genauen Beobachtung unserer Gastgeber, die jeden Bissen und jede Genussbekundung von unserer Seite mit einem Wodka begossen –, lag unsere gesamte Reisegruppe bewegungsunfähig auf dem Sofa und versuchte Sergej und Ivan vom Verteilen weiterer Begrüßungsgetränke abzuhalten.
»Oh mein Gott, ich bin tot«, ächzte Patrick. »Noch eine Mahlzeit und ich lasse mir im Krankenhaus freiwillig den Magen auspumpen«, krümmte er sich neben mir auf dem Sofa, während meine Mutter komplettierte: »Wie sollen wir denn morgen noch zur Hochzeit gehen? Ich passe doch in kein Kleid mehr«, was mein Vater nur mit einem herzlichen Rülpsen beantwortete.
Dann sprang die Tür auf und Ludmilla hielt zwei weitere Tabletts hoch.
»Chommen, zweite Gang ist färrrtig!«, verkündete sie immer noch taufrisch wie der junge Morgen und wies uns den Weg in die Küche.
Vielleicht ist das russische Krankenhaus wirklich keine schlechte Alternative, dachte ich und half meinen Eltern von der Couch hoch.
Bis die Troika sie scheidet
Der orthodoxe Priester betrachtete uns mit Argwohn. Tiefe Falten hatten sich um seinen Mund in die alte Gesichtshaut gegraben, gelächelt hatte dieser Mann das letzte Mal irgendwann Ende der Sechzigerjahre, seitdem bediente er sich eines mimischen Sparprogramms zwischen »böse« und »misstrauisch«. Wir ausländische Atheisten, die den ganzen russisch-orthodoxen Zirkus mit einer gehörigen Portion westfälischer Pragmatik beobachteten, erschienen dem Gottesmann höchst verdächtig. Zum Glück hatte er am heutigen Tag aber noch andere Aufgaben außer unserer Überwachung, denn Ludmilla war gerade vor den Altar getreten und fügte mit ihrem Hochzeitskleid der internationalen Farbskala noch ein paar Facetten hinzu. Sie trug ein Kleid in ihrer Lieblingsfarbe »Schreipink« mit Glitzerpailletten, Modell »Prinzessin Lilifee mit Drogenproblemen«.
Ein erstaunlich erlesener Kreis hatte sich in der Kirche eingefunden, inklusive meiner Familie wohnte nur die engste Verwandtschaft der Zeremonie bei. In der ersten Reihe schluchzte Sergejs Mutter Mamita Maja, ein hutzliges Wesen mit Kopftuch, das wahrscheinlich alt genug war, um in seiner Jugend noch die letzten Mammuts bejagt zu haben. Die kleine Frau erfüllte den Raum mit einem so allumfassenden Schnäuzen und Geheul, dass man glauben konnte, es handele sich hierbei um eine Trauerfeier. Selbst Ivan, der eigener Aussage nach noch nie »gecheult« hatte, strich sich eine Träne von der fleischigen Wange.
Der Priester sprach ein paar feierliche Sentenzen, schwenkte seinen Weihraucheimer und machte ein wenig christlichen Zirkus, der diesseits der Grenze eigentlich genauso bei jeder Trauung abgehalten wurde.
Da begann der Priester mit einer Art singendem Selbstgespräch, das anscheinend der Trauungsritus war. Er wechselte sich mit einem bemützten Assistenten ab und schmetterte eine geschlagene Stunde lang orthodoxe Beschwörungsformeln ins Mikro. Plötzlich wurden Braut und Bräutigam tonnenschwere Kronen aufs Haupt gesetzt und sie fingen an, um den Altar zu wandern. Nach drei Umrundungen gaben sie erschöpft auf und machten es sich wieder vor dem Altar bequem.
Die riesigen Kronen auf Sergejs und Ludmillas Kopf waren anscheinend aus massivem Gold, jedenfalls sollte Ivans erhobene Augenbraue und sein demonstratives Reiben von Daumen und Mittelfinger das wohl andeuten.
Als das Brautpaar die Kirche verließ, trompetete Ivan die russische Nationalhymne in den mittäglichen Himmel, ein paar pink eingefärbte Brautjungfern schmissen mit Reis und Rosenblättern und statt der Schrottmühlen, die uns hergebracht hatten, stand nun ein pinker Cadillac vor dem Gotteshaus, den Ludmilla mit einem begeisterten Klatschten bestieg.
Brauchtum
»War aber schön, die Trauung«, sagte meine Mutter und versuchte, sich im Rückspiegel von Ivans Auto den Lippenstift nachzuziehen.
»Chirche ist wichtig für Liebe, Feier ist wichtig für Familie«, brummte Ivan zustimmend und hupte pflichtbewusst.
Nun waren wir auf dem Weg zu der »chleine Parrrty«, die der Trauung folgte. Patrick hatte aus sakralem Pflichtgefühl heraus sogar seine Mütze abgelegt, ich trug meinen Anzug aus der »Big is beautiful«-Abteilung, der
Weitere Kostenlose Bücher