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Lebenslänglich Klassenfahrt: Mehr vom Lehrerkind (German Edition)

Lebenslänglich Klassenfahrt: Mehr vom Lehrerkind (German Edition)

Titel: Lebenslänglich Klassenfahrt: Mehr vom Lehrerkind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastian Bielendorfer
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dunklen Loch verschwand, das als Eingang zur Halle diente.
    »Und wofür sollen die jetzt sein?«, fragte ich, während eine der Hennen einen kapitalen Schiss auf den Rücksitz donnerte.
    »Ist für Fruchtbarkeit, damit Frau bekommt viele Babies«, erläuterte Ivan fachkundig, als wäre das hier das Esoterikseminar der Volkshochschule Unna-West. Betreten schauten wir auf die gefederten Fruchtbarkeitsboten, die sich gegenseitig in die Seite pickten.
    »Aber Chuhn ist nur bisschen gut, ist nur für Leutes wie euch. Richtig Freunde schenken Chweinchen«, sagte Ivan und lachte. Meine Eltern nickten, und gerade als mein Vater etwas entgegnen wollte, war uns, als hätten wir ein Grunzen aus dem Kofferraum gehört.

Ein kleines Fest
    »Sind wir da«, sagte Ivan und sprang aus dem Lada in eine braune Pfütze hinein. Meine Eltern standen bereits mit offenem Mund vor dem Auto und starrten an dem riesigen Komplex hinauf, vor dem sich eine Menschenmenge versammelt hatte, die so absurd groß war, dass man vermuten konnte, hier würde gleich das WM-Endspiel abgehalten. Die personelle Bescheidenheit der Trauung hatte sich hier eindeutig nicht fortgesetzt.
    Die Ausmaße, die Sergejs »chleine Party« annahm, waren vergleichbar mit einer Papstkrönung. Die Dekoration war bunt und pompös, als hätte man Boy George in die Luft gejagt, anscheinend war die gesamte russische Landbevölkerung im Umkreis von fünfhundert Kilometern angereist, um mit den Lokosimovs diesen Ehrentag zu begehen. Sofort wurden wir einer Parade von Menschen vorgestellt. Wie bei einem Staatsempfang schritten wir die endlose Menschenschlange ab, jeder verbeugte sich demütig, während Ivan unsere Herkunft erläuterte. Bei meinen Eltern und Patrick säuselte er ihren Namen, doch bei mir brummte er nur ein hohles »Durak« und ging weiter.
    Am Kopfende des Saals saßen Sergej und Ludmilla bereits an einer gesonderten Festtafel und begrüßten ihre Anverwandten. Eine Hochzeit wie diese verschlang locker die Ersparnisse der gesamten Familie, allerdings war die Refinanzierung eines solchen Fests ebenso Bestandteil des Brauchs, denn es wurde massenhaft Geld und Vieh geschenkt, das wahrscheinlich kotend in den Autos der Gäste auf seinen Einsatz wartete.
    Neben der Festtafel hatte eine Band bereits ihre Instrumente errichtet, sie schien allerdings noch beim Soundcheck zu sein. Am Mikrofon stand ein Mann mit gewebter Weste und rauchte leger eine Zigarette.
    Dann trat ein Moderatorenpaar auf, Igor und Svetlana, wie sie uns Ivan stolz vorstellte, die alle Abläufe minutiös kommentierten, die einzelnen Tagesordnungspunkte ankündigten und die zahlreichen Spiele organisierten. Igor, der in seinem knallroten Folienanzug aussah wie der menschgewordene Zonk und Svetlana, deren Frisur an ein Tischfeuerwerk erinnerte, neigten doch eher zur großen Geste. Als sie im Konfettiregen die Treppe am Saalende hinabstiegen, sangen sie ein Lied, dessen Titel uns Ivan mit »Liebe ist Chonig von Leben« übersetze. Anders als einer Ode an das Imkerhandwerk war dieses Duett allerdings so süßlich, dass man Sorge habe musste, Diabetes zu bekommen, der etwas untersetzte Igor schmachtete auf Knien, während sich Svetlana mehrmals den Handrücken an die Stirn führte, ein Bollywoodfilm war dagegen ein emotionsarmes Kammerspiel.
    Ivan übersetzte uns jeden einzelnen Satz des Liedes, auch wenn bestimmte Verse wie »Ich shrimpe deine Füße« oder »Statt Gesäge viele Schläge« sicherlich im Russischen etwas anderes bedeutet haben mochten als in seiner interessanten Interpretation der deutschen Sprache. Nach dem Lied machten sich der Zonk und Svetlana daran, die einzelnen Hochzeitsgäste vorzustellen, was bei einer so großen Festgesellschaft ein ziemlich gewagtes Unterfangen war. Letztlich erschloss sich für uns nur, dass alle miteinander verwandt zu sein schienen und sich dementsprechend nicht ausstehen konnten. »Tisch sieben mit Tisch neun ist Chrrrieg … Bumm, Bumm«, stellte Ivan fest und zeigte auf ein paar sehr intensiv tätowierte Herren, die sich gegenseitig böse Blick zuwarfen.
    Als die Reihe dann an uns kam, wurde uns wieder unsere Rolle als Ehrengäste bewusst, das Flutlicht tauchte unseren Tisch in ein grelles Weiß und dazu nahm der Zonk auf dem Schoß meines Vaters Platz und ignorierte damit völlig jegliches westliche Bedürfnis nach körperlicher Distanz.
    Mehrmals wurde mein Vater zum Aufstehen genötigt, der Zonk riss seine Arme hoch wie bei einem Preisboxer, der gerade

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