Lebenslänglich Klassenfahrt: Mehr vom Lehrerkind (German Edition)
zwar am Bauch nicht spannte, dafür aber viel zu kurze Ärmel hatte und dementsprechend dämlich aussah. Designer von Konfektionsware für Übergröße konnten sich anscheinend nicht vorstellen, dass man fett und groß zugleich sein konnte, deshalb klingelten die Manschettenknöpfe nun hochgekrempelt in meiner Armbeuge.
Tipp 4: Lass dich auf Bräuche ein, egal wie bescheuert sie sind!
Plötzlich bog unser Wagen in einen Feldweg ab und hielt nach ein paar Minuten vor einer riesigen Halle, während die restliche Kolonne derweil weiterfuhr.
»Musswa noch Traditona machen, Rrrobert und Bassstian«, begründete Ivan seinen kleinen Abstecher und bat meinen Vater und mich vor die Tür des Wagens. Ein kleiner Mann in brauner Latzhose trat aus der Halle und kaute auf einem Grashalm. Er sah aus, als hätte man Hugo Egon Balder im Wald verwahrlosen lassen. Ich konnte Patrick und meine Mutter durchs Wagenfenster beobachten, wahrscheinlich erwarteten sie nicht unbedingt, uns lebend wiederzusehen.
»Straßtwujti«, brummte Ivan den kleinen Mann an, der als Ersatz einer Begrüßung dreimal auf den matschigen Boden spuckte. Es roch nach Ammoniak und nassem Holz, Hugo Egon schaute uns Ausländer an, als würde er jeden Moment eine doppelläufige Schrotflinte aus seiner Latzhose ziehen. Dumpf konnten wir durch das Wellblech der Halle ein tausendfach echoendes Geräusch hören, das zu einem immer lauter werdenden Dröhnen anschwoll.
Plötzlich trat der Mann einen Schritt zurück, griff hinters Hallentor und holte einen Käfig voller Hühner hervor, die wild gackernd in dem Maschendrahtquader auf und ab sprangen.
»Wollta chaben?«, fragte uns Ivan und zeigte auf den Käfig.
»Wofür?«, entglitt es meinem Vater, Ivan schaute völlig verständnislos, als hätte er gerade nach dem Atomgewicht vom Silizium gefragt.
»Fürr Chochzeit, als Prrräsent natürrlich«, sagte er mit einer Selbstverständlichkeit, als wäre es auch in der westlichen Welt Brauch, der Braut ausgemusterte Legehennen zu überreichen.
»Oderrr willst du ohne Prrrräsent chommen?«, fragte Ivan vorwurfsvoll, als er das Zögern meines Vaters bemerkte.
»Gut, äh, dann nehme ich zwei«, sagte mein Vater und zückte sein Portemonnaie, doch Ivan schlug es ihm sofort aus der Hand. »Musstu chandeln«, zischte er erbost. Die Hühner guckten doof, wir ebenso, nur Hugo Egon im braunen Bauerndress schien siegessicher und lächelte uns eine beachtliche Zahnlücke entgegen.
»Ne, ich nehm’ die so, ist schon okay!«, widersprach mein Vater sichtlich angestrengt, ihm schienen nun alle interkulturellen Besonderheiten egal zu sein.
»Nix da. Ohne Chandeln nix Hühner, nix Chochzeit!«, insistierte Ivan.
Dann fing Ivan an, dem kleinen Hugo Egon Balder einen Zahlvorschlag auf russisch zu machen, den dieser wild kopfschüttelnd ablehnte. Er seinerseits unterbreitete umgehend ein Gegenangebot, das Ivan aber nur mit einem Fußstampfen und einem erhobenen Zeigefinger zurückwies.
»Jetzt gib dem doch das blöde Geld, Robert«, brüllte nun auch meine Mutter aus dem Wagen heraus und kurbelte schnell wieder das halb offene Fenster hoch. Mein Vater stand hilflos neben Ivan und machte eine Geste völliger Ahnungslosigkeit, so unsouverän hatte ich ihn selten gesehen.
»Durrraaak!«, brüllte Ivan mit hochrotem Kopf und riss meinem Vater wütend die Geldbörse aus der Hand, er und Hugo Egon Balder waren kurz davor, sich gegenseitig mit Heugabeln zu ermorden. Ich versuchte tief einzuatmen und an das autogene Training zu denken, das meine Eltern mir mal auf CD geschenkt hatten. »Grüne Wiese, grüne Wiese«, flüsterte ich mir wie ein irrer Gärtner zu, während Ivan ein paar Rubel aus der Geldbörse kramte und sie auf den matschigen Boden neben den Hühnerkäfig warf. Hugo Egon nickte einmal verächtlich und schob mit seinem Stiefel den Käfig über den Modder, die armen Viecher krächzten um ihr Leben, auch wenn ich glaube, dass sie es auf dem Rücksitz unseres Lada besser hatten, als in der Wellblechhalle.
Fassungslos schaute ich meinen Vater und die Hühner an, entkräftet griff er nach dem Käfig und stapfte zurück zum Auto. Wir stiegen wieder ein, der Hühnerkäfig stand jetzt zwischen Patrick und meiner Mutter, die sich sprachlos an ihren Sicherheitsgurten festhielten, während Ivan den Motor wieder zu Leben erweckte.
»Cha! Ist Idiot, ich nur die Chälfte bezahlt!«, triumphierte Ivan und legte lachend den Rückwärtsgang ein, während Hugo Egon Balder wieder in dem
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