Lebenslänglich Klassenfahrt: Mehr vom Lehrerkind (German Edition)
warteten. Auch das, was uns die Chef-Stewardess als »Borrt-Änterrrtäinment« ankündigte, vermochte meine Angst nicht zu zerstreuen. Der dargebotene Film lag leider nur auf Russisch vor und ließ sich deshalb nur vage deuten. Es ging dabei offensichtlich um eine Frau, die aussah wie Daniela Katzenberger, sowie um den hässlichen Bruder von Axel Schulz, der sie vor Dinosauriern in einem schwebenden Hochhaus retten sollte. Großes Kino. Na ja, immerhin zeigten sie nicht »Final Destination« oder »Con Air«.
Der Präsident ist gelandet
Zwei Stunden, drei halb entblößte Daniela Katzenbergers und unzählige tote Dinosaurier später, waren wir gelandet. Der Flughafen von Rostow hatte sich kaum verändert, nur die zahlreichen Bewacher mit Fellmützen waren dicken Frauen in kaffeefilterbeigen Uniformen gewichen. Hier brachte Gaddafi also seine Privatarmee nach dem Ruhestand unter. Hinter der gläsernen Trennwand konnten wir bereits Sergej und Ivan winken sehen. Sergej hatte sich anlässlich seiner Hochzeit sogar den buschigen Bart abrasiert, Ivan hielt einen glänzenden Gegenstand in der Hand, hoffentlich nicht wieder seinen Revolver, sonst wurden wir bestimmt gleich von einer Sicherheitskraft über den Haufen geschossen.
Als wir unseren Gepäckwagen durch das Tor schoben, entpuppte sich der glänzende Gegenstand als etwas bedeutend Schlimmeres: Es war eine rostige Trompete, auf der Ivan die deutsche Nationalhymne anstimmte. Das Deutschlandlied schmetterte durch die riesige Empfangshalle des Flughafens, als wäre der Bundespräsident soeben eingeschwebt. Stattdessen standen dort aber nur vier verschwitzte Deutsche mit Unmengen an Gepäck und Geschenken. Die anderen Passagiere deuteten unseren Empfang wohl falsch, ein alter Mann zog sogar seinen Hut vor meinem Vater, dem nichts Besseres einfiel, als mit seiner gerollten Zeitung zu winken wie die Queen mit dem Zepter.
Um auf jeden kulturellen Fauxpas vorbereitet zu sein, hatte mein Vater diesmal eine Liste mit lokalen Eigenheiten erstellt, die er akribisch befolgte und daher auch in dieser grotesken Situation keine Miene verzog.
Tipp 1: Weg mit dem europäischen Understatement, Begrüßungen müssen von Herzen kommen und möglichst lang und innig sein, am besten mit Fanfaren und Feuerwerk.
»Roooobeerrrrrt«, brüllte Sergej durch die klamme Luft der Innenhalle in Ivans schreckliches Gedudel hinein.
»Seeergeeej«, schrie mein Vater regelkonform mit, woraufhin gedrückt, geküsst und geheult wurde, als wäre meine Familie gerade von der ersten bemannten Marsmission zurückgekehrt. Patrick neben mir schaute mich ob dieser undeutschen Theatralik etwas verwundert an. Eigentlich hatten wir aber noch Glück, dass die Lokosimovs als Zeichen der Freude nicht direkt in der Empfangshalle ein Schwein schlachteten. Bei Ivans Trompetengeknarze wäre es wahrscheinlich freiwillig ins Messer gesprungen.
»Baaastiaaan«, setzte Sergej seinen Begrüßungsmarathon fort. Wie es Sitte war, bekam ich erst mal rechts und links eine gescheuert und wurde dann an meinem Waschbärbauch getätschelt, als wäre ich ein trächtiges Haustier. »Chön! Und wer ist das?«, fragte Sergej und zeigte freundlich auf Patrick, der sein Sonntagslächeln auflegte. Er hatte schnell begriffen, dass man hier mit subtilen Signalen nicht weit kam.
»Patrick, mein bester Freund«, sagte ich und Patrick streckte ihm die Hand hin. Doch bevor Sergej auch auf ihn einschlug, warf er meinem Vater einen Blick zu, der in seiner nonverbalen Kraft kaum zu überbieten war.
»Ist sich Tunte?«, fragte er dann in meine Richtung. Bevor ich hektisch verneinen konnte, brüllte unser Gastgeber bereits: »Jist egal, Chast ist Chast«, und bedeckte Patrick mit der gleichen ritualisierten Abfolge von Ohrfeigen, Küssen und Umarmungen wie mich. Bei jeder Umarmung entwich die Luft aus Patrick, als wäre man auf einen Staubsaugerbeutel gesprungen. Ich hörte nur ein lautes »Uff«. Wenn noch drei, vier weitere Verwandte der Lokosimovs das Leben aus meinem Freund quetschten, konnte ich ihn auf der Rückreise gebügelt ins Handgepäck legen.
Dann folgte der Programmpunkt der Geschenkübergabe, bei dem sich mein Vater diesmal streng nach Regel Nummer Zwei seines Kulturleitfadens hielt:
Tipp 2: Lehne Geschenke erst ab, nimm sie dann aber an! Zwinge den Gastgeber deine Geschenke anzunehmen, notfalls mit Waffengewalt.
Wo man in Deutschland vielleicht höflich ein Blumensträußchen in Cellophanpapier als Gastgeschenk
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