Lebenslang Ist Nicht Genug
im Fernsehen?«
Lieutenant Cole lachte. »So ähnlich. Allerdings ist die Arbeit eines Spitzels in Wirklichkeit längst nicht so aufregend wie auf dem Bildschirm. Vor allem geht sie wesentlich langsamer voran.«
»Was genau tut so ein Spitzel?«
»Er wird sich in derselben Pension ein Zimmer nehmen, in der unsere Verdachtsperson wohnt. Er heftet sich ihr an die Fersen, versucht sich mit ihr anzufreunden und ihr Vertrauen zu gewinnen. Wenn wir den Eindruck haben, der Verdacht sei begründet,
dann schlagen wir zu und nehmen möglicherweise eine Verhaftung vor. Aber rechnen Sie nicht damit, Gail. Informationen wie diese überprüfen wir jeden Tag. Meistens kommt nichts dabei raus.«
»Ich verstehe. Danke, daß Sie mich weiterhin auf dem laufenden halten.«
»Ich weiß doch, wieviel Ihnen das bedeutet. Über kurz oder lang kriegen wir was raus, das verspreche ich Ihnen.«
Gail hatte sich gerade die zweite Tasse Kaffee eingegossen, als Jack anrief. Der kleine Hund, um dessentwillen er heute so früh aus dem Haus geeilt war, sei gestorben, erzählte er. Gail versuchte ihn zu trösten. Sie wußte, wie niedergeschlagen er jedesmal war, wenn er ein Tier verlor, besonders, wenn es sich wie in diesem Fall um einen Hund handelte, der überfahren worden war, weil es dem Eigentümer grausam erschien, ihn an der Leine zu führen. »Ich versuche heute abend früher heimzukommen«, sagte Jack.
Gail berichtete von ihrem Gespräch mit dem Kommissar. Genau wie Lieutenant Cole warnte auch Jack sie vor übereilten Hoffnungen. Gail versuchte gar nicht erst zu erklären, daß einzig die Hoffnung, Cindys Mörder zu finden, sie noch aufrecht hielt. Ihre Familie war zumindest dem Anschein nach ihrem Rat gefolgt und hatte ihr normales Leben wieder aufgenommen. Doch Gails Leben hatte im wesentlichen in der Betreuung und Erziehung eines sechsjährigen Kindes bestanden. Jetzt war das Kind tot, und für Gail gab es kein normales Leben mehr.
Mami, wenn wir sterben, können wir’s dann zusammen tun? Hältst du mich dabei an der Hand? Versprichst du’s mir?
O Cindy, mein süßer Engel, merkst du denn nicht, daß ich mein Versprechen gehalten habe? Vor Gails brennenden, trokkenen Augen stieg das Bild ihrer schönen Tochter auf. Als dieser Unmensch dich tötete, da hat er auch mich umgebracht. Als er dir das Leben nahm, da löschte er auch das meine aus.
Wir sind zusammen gestorben, mein Schatz. Genauso, wie ich dir’s versprochen habe.
Gail bewegten diese Gedanken in ihrem Herzen, und dabei fiel ihr ein, daß der Mörder ihr das Recht verweigert hatte, die Hand ihres Kindes zu halten. Er hatte ihr mit einem Schlag alles genommen und ihr Leben vernichtet.
Gails Blick wanderte zum Küchenfenster. Sie stellte sich vor, der Mörder ginge frei und unbeschwert an ihrem Haus vorbei, ein widerliches Lächeln auf dem Gesicht.
Sie erhob sich so hastig, daß sie die Kaffeetasse umstieß. Die dunkle Flüssigkeit ergoß sich über das weiße Tischtuch und tropfte auf den Fußboden. Es sah aus wie Blut. Gail wischte den verschütteten Kaffee nicht auf; in Gedanken war sie immer noch mit dem Mörder ihrer Tochter beschäftigt. Sie würde ihn finden und seiner gerechten Strafe zuführen, dazu war sie fest entschlossen. Diese Aufgabe war alles, was der Mörder ihr gelassen hatte.
Sie schaute auf den Kalender an der Wand neben dem Telefon. Dreißig Tage waren seit Cindys Tod verstrichen. In weiteren dreißig Tagen lief die Frist ab, die Gail der Polizei gesetzt hatte.
8
Gail schlug die Morgenausgabe des »Newark Star« auf. Was soll ich nur tun? Sie hatte keinen Plan. Sie kannte sich weder mit der Psyche von Verbrechern noch mit der von Verrückten aus. Wo soll ich anfangen? überlegte sie. Die Polizei verfolgt »Spuren«. Aber ich habe keine. Ihr Blick fiel auf eine Schlagzeile, und bald darauf war sie in den Bericht von einem Raubüberfall auf dem Raymond Boulevard vertieft.
Eine achtzigjährige Frau war mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus eingeliefert worden, nachdem jemand versucht hatte, ihre Handtasche zu stehlen. Der Täter wurde von Passanten
als jung, groß und blond beschrieben. Er war ohne die Tasche geflohen, die nur drei Dollar enthielt. Zuvor aber hatte er die alte Frau wiederholt auf den Kopf und in die Rippen geschlagen. Das Opfer würde vermutlich nicht überleben.
Ohne lange nachzudenken, sprang Gail auf und lief durchs Wohnzimmer in den kleinen Arbeitsraum. Sie suchte die eingebaute Bücherwand gegenüber dem Fernseher nach
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