Lebenslang Ist Nicht Genug
räumten das Geschirr ab und servierten als Nachspeise ein erdbeerfarbenes Scherbett, von dem eine Frau lautstark verkündete, daß es eigentlich ein Sorbet sei. Gail dachte, das eine sehe aus wie das andere, und als sie gekostet hatte, fand sie auch im Geschmack keinen Unterschied. Sie bemerkte, daß auch Laura nur einen Löffelvoll probierte. Auf einmal wurden
die Lichter im Saal abgeblendet, und aus den Lautsprechern ertönte Rockmusik, die Standarduntermalung moderner Modenschauen. Ein Scheinwerfer flammte auf, dann ein zweiter und ein dritter, und in ihrem gleißenden Licht stolzierten drei hinreißende junge Mädchen in Frühjahrsmodellen über den Laufsteg.
Die Mannequins tänzelten mit wiegenden Schritten vor ihrem entzückten Publikum auf und ab, die Hüften leicht vorgeschoben, die Schultern gestrafft. Gail sah sie ihr Lächeln an-und abstellen wie ferngesteuerte Automaten, sie lauschte den grellen Klängen der Musik und spürte, wie eine tiefe Melancholie sie überkam. Wie konnten diese Mädchen nur jetzt schon die Mode für den nächsten Frühling vorführen?
Die Show endete ebenso unvermittelt, wie sie begonnen hatte. Allerdings war das Finale wirklich sensationell. Eine aufreizende Brünette in einem abenteuerlichen Ensemble führte zwei fauchende Leoparden über den Laufsteg. (Die kühn gemusterte Kreation war genau auf das Fell der Tiere abgestimmt.) Gail fragte sich, ob die Leoparden nicht womöglich Betrug witterten und dagegen aufbegehren würden, indem sie vom Laufsteg sprangen und sich ein improvisiertes Mittagsmahl einverleibten. Aber trotz ihres Fauchens waren die beiden Wildkatzen enttäuschend zahm.
»Das war’n glatter Verschnitt von Oscar de la Rentas Show aus dem letzten Jahr«, spottete eine Frau, als es im Saal wieder hell wurde. Eine andere pflichtete ihr bei. »Ich hab’ genau so was schon vor zwei Jahren bei Valentino gesehen«, behauptete die Dame, die als Geschworene nominiert worden war. »Und diese Kleine mit den Leoparden, mein Gott, die sah ja aus, als hätten die Viecher sie reinschleifen müssen.« Sie lachte ausgiebig über ihren kümmerlichen Witz.
»Was kann man schon von einem Modeschöpfer erwarten, der aus Hackensack stammt?«
»Hackensack? Soll das’n Witz sein?«
»Ganz im Gegenteil. Angeblich hat er dort ein sehr gutgehendes Geschäft.«
»Also ich werde mich da bestimmt nicht hin verirren«, mischte sich eine andere Frau ins Gespräch. Sie erntete ringsum beifälliges Gemurmel.
Nancy Carter kam an ihren Tisch. »Na, wie hat’s euch gefallen?« fragte sie erwartungsvoll.
»Großartig«, sagte die Oscar-de-la-Renta-Anhängerin.
»Bildschöne Stoffe«, schwärmte die Valentino-Geschulte, und die Runde nickte zustimmend.
»Wie fanden Sie das letzte Mannequin?« fragte Nancy weiter. »Die Dunkle mit den Leoparden.«
»Entzückend«, antwortete die Frau, ohne mit der Wimper zu zucken.
»Meine Tochter.« Nancy lachte. Ihre Stimme schwankte zwischen Stolz und Neid, als sie wiederholte: »Ja wirklich, das Mannequin ist meine Tochter.«
»Ich hätte nicht gedacht, daß Sloane schon erwachsen ist«, rief Gail verwundert.
Nancy wandte sich nach ihr um. Sie hatte Gail bisher nicht bemerkt. Alle Farbe wich aus ihrem Gesicht. »Gail, lieber Himmel, ich hatte ja keine Ahnung, daß du hier bist.« Vorwurfsvoll sah sie Laura an. »Laura, du hättest mir doch sagen können, daß du Gail mitbringst.«
»Ich wollte dich überraschen.«
»Wie geht es dir, meine Liebe?« Nancys Blick flehte um eine nichtssagende Antwort.
»Ganz gut, danke.«
»Du siehst großartig aus«, flötete Nancy, meinte aber offensichtlich das Gegenteil. »Ich freue mich so, dich hierzuhaben. Warum hast du mich nicht angerufen? Ich hab’ mir solche Sorgen um dich gemacht!«
Gail zuckte mit den Schultern. Was sollte sie darauf antworten?
»Wie geht’s Jack?« fragte Nancy und lächelte dabei einer Frau am Nachbartisch zu.
»Ihm geht’s gut, und Jennifer auch.«
»Wie schön.« Nancy wandte sich zum Gehen. »Wie schön. Ich finde, ihr haltet euch großartig, ihr alle. Das meine ich ganz ehrlich.« Sie holte tief Luft, so als habe sie sich bei den letzten Worten völlig verausgabt.
»Du redest Scheiße.« Laura sagte es so liebenswürdig, als habe sie Nancy ein Kompliment über ihr Aussehen gemacht.
Verwundert beobachtete Gail Nancys Gesicht. Es zeigte keinerlei Reaktion. Sie hatte nichts mitbekommen, und zwar ganz einfach, weil sie nicht zugehört hatte. »Ich muß weiter«,
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