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Lebenslang

Lebenslang

Titel: Lebenslang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Schwindt
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nickte.
    »Warum sind Sie hier herausgefahren?«
    »Ich suche einen Mann.«
    Der Taxifahrer runzelte die Stirn und verzog den Mund zu einem Lächeln. »Aha«, sagte er nur.
    Yvonne verzog ärgerlich das Gesicht und presste die Lippen aufeinander.
    »Entschuldigung. Ich wollte mich nicht über Sie lustig machen.«
    Yvonne schwieg. Mit ihrem Sohn konnte sie nicht über ihre Visionen sprechen, aber vielleicht mit einem fremden Menschen. Einem Menschen, den sie ohnehin nicht wiedersehen würde. Dem es egal sein konnte, was sie sagte, tat oder wer sie war.
    »Ich suche einen Mann, der sich vor zwei Tagen in der chirurgischen Ambulanz der Uniklinik behandeln ließ.«
    »Und Sie hatten diese Adresse hier?«
    »Sie war falsch. Wahrscheinlich genau wie der Name des Mannes, den ich suche.«
    Der Taxifahrer nahm wieder einen Schluck aus der Flasche und sah sie nachdenklich an.
    »Können Sie ihn beschreiben?«
    Yvonne lachte. »Ich weiß, als Taxifahrer kommen Sie ziemlich weit herum, aber ich glaube kaum, dass Sie ihn kennen.«
    »Das habe ich auch nicht behauptet. Also?«
    »Es ist schwierig«, sagte sie hilflos. »Jedes Mal, wenn ich versuche, ihn mir vorzustellen, entgleitet er mir. Er ist einer dieser Männer, deren Gesicht man sofort wieder vergisst. Unscheinbar. Nichts an ihm ist in irgendeiner Art und Weise bemerkenswert. Seine Schuhe waren durchschnittlich, seine Hose war durchschnittlich, sein kariertes Hemd war durchschnittlich.«
    »Aber nichts von dem, was er trug, war teuer.«
    Yvonne runzelte die Stirn. »Neu, aber billig.«
    »Er schien nicht viel Geld zu haben, nicht wahr?«
    »Nein, den Eindruck machte er nicht.«
    »Vielleicht konnte er sich noch nicht einmal eine Krankenversicherung leisten?«
    Yvonne sah ihn überrascht an. »Jeder hat eine Krankenversicherung. Auch die, die kein Geld haben.«
    »Wenn sie Hartz IV beziehen und irgendwo gemeldet sind. Der Rest nicht.«
    »Sie glauben, er war obdachlos?«
    Der Taxifahrer nahm einen weiteren Schluck aus seiner Flasche. »Vielleicht.«
    »Entschuldigung, aber er sah nicht so aus, als würde er auf der Straße leben.«
    Er lachte. »Obdachlosigkeit sieht man nicht jedem an.«
    »Sprechen Sie da aus Erfahrung?«, sagte Yvonne und hätte im selben Moment am liebsten die Worte wieder zurückgenommen. Der Taxifahrer musterte sie kühl.
    Yvonne stöhnte. »Verzeihen Sie. Manchmal ist mein Verstand nicht so schnell wie mein Mund.«
    »Ich glaube, ich fahre Sie jetzt besser wieder nach Hause«, sagte er und stieg ein.
    Den Rest der Fahrt wechselten beide kein Wort miteinander. Yvonne ärgerte sich über ihre taktlose Bemerkung. Sie selber legte allergrößten Wert darauf, dass ihr niemand zu nahetrat, doch sie hatte soeben jene Grenze, die sie für sich selbst so eifersüchtig bewachte, bei einem anderen gedankenlos verletzt.
    Als der Wagen in der Souchaystraße hielt, holte sie ihr Portemonaie aus der Handtasche. »Was bin ich Ihnen schuldig?«
    Der Fahrer las den Betrag vom Display im Rückspiegel ab. »Siebenundvierzig achtzig.«
    Sie drückte ihm einen Fünfzig-Euro-Schein in die Hand. »Stimmt so.«
    »Brauchen Sie eine Quittung?«
    Yvonne schüttelte den Kopf.
    »Ich nehme an, Sie fahren öfter Taxi.«
    »Ja. Ich habe keinen Führerschein mehr.«
    Der Mann holte unter einigen Verrenkungen eine Visitenkarte aus der Gesäßtasche seiner Hose und gab sie ihr. »Taxifahren ist eine Teilzeitbeschäftigung von mir, um meinen anderen Beruf zu finanzieren. Stammkunden bekommen bei mir Rabatt. Rufen Sie einfach die Handynummer an.«
    »Thomas Kistler«, las Yvonne auf der Visitenkarte. »Die Schleuse e.V., Schleusenstraße 15.« Sie blickte auf. »Was ist das?«
    »Die Schleuse ist ein Obdachlosenprojekt im Gallus, für das ich arbeite«, sagte er. »Wenn Sie wirklich etwas über Penner erfahren wollen, schauen Sie doch einfach mal vorbei.«

J etzt, wo man Julias Leiche gefunden hat und es ein Mord ist, hat meine Tochter es doch noch auf die Titelseiten der Zeitungen geschafft. Wenn auch nur als kurze Notiz und nicht in die Schlagzeilen. Aber die Anteilnahme, die Astrid und mir entgegengebracht wird, ist überwältigend. Wenigstens klingelt niemand an der Tür, um sich bei uns darüber auszuheulen, wie schlimm diese Welt doch ist. Aber die Beileidskarten füllen mittlerweile einen Wäschetrog.
    Zwar treiben sich noch einige Reporter im Ort herum, aber Nachbarn und Freunde tun alles, um ihnen die Arbeit so schwer wie möglich zu machen.
    Schumacher hat uns ein Versprechen

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