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Lebenslang

Lebenslang

Titel: Lebenslang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Schwindt
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Stoff.
    Yvonne schlug die Augen auf. Und sah ein Gesicht, das sich über sie beugte.
    »Alles in Ordnung mit Ihnen?«, fragte der Taxifahrer erschrocken.
    Yvonne nickte und versuchte etwas zu sagen, wusste aber natürlich, dass sie noch etwas warten musste, bis ihr die Stimmbänder wieder gehorchten.
    »Ich glaube, es ist wohl besser, wenn ich einen Krankenwagen rufe«, sagte er und richtete sich auf.
    Yvonne schüttelte energisch den Kopf.
    Der Mann sah sie überrascht an. »Natürlich werde ich das tun! Haben Sie eine Vorstellung davon, wie Sie aussehen?«
    Yvonne nickte.
    Der Taxifahrer zögerte und blieb unentschlossen stehen. Yvonne hob matt eine Hand. »Bitte«, krächzte sie. »Bitte keinen Krankenwagen.«
    »Haben Sie so etwas öfter?« Der Taxifahrer ging neben ihr in die Hocke und half Yvonne, sich aufzusetzen. Sie sah, wie sich im Erdgeschoss die Küchenvorhänge bewegten.
    Yvonne war noch immer nicht in der Lage, eine vernünftige Antwort zu geben. Sie packte den Arm des Mannes und ließ sich von ihn hochziehen. »Es ist alles gut«, flüsterte sie und versuchte sich an einem Lächeln.
    »Das können Sie Ihrem Arzt erzählen, aber nicht mir.« Der Mann wollte sie zum Auto führen, doch Yvonne wehrte sich, so gut es ihr schwacher Zustand erlaubte.
    »Kein Arzt. Kein Krankenhaus.«
    Der Mann sah sie eindringlich an. »Okay«, sagte er schließlich. »Also dann kein Krankenhaus.«
    Diesmal nahm sie auf dem Beifahrersitz Platz. Der Fahrer schlug die Tür zu, ging um den Wagen herum, setzte sich hinter das Lenkrad und schnallte sie an, denn Yvonnes Finger waren noch immer steif und zittrig.
    Erst jetzt fielen ihr die Einzelheiten an dem Mann auf. Er war dünn und kräftig. Seine sehnigen Arme waren stümperhaft tätowiert, so als hätte jemand im Vollrausch eine Stricknadel missbraucht. Yvonne erkannte ein Kreuz mit einer nicht identifizierbaren Jahreszahl, mehrere ineinander verschränkte Muster und drei Punkte zwischen Daumen und Zeigefinger der rechten Hand. Nichts hören, nichts sehen, nichts sagen, schoss es ihr durch den Kopf. Sie hatte keine Ahnung, warum sie das auf einmal wusste, aber sie war sich sicher, dass der Mann eine Knastkarriere hinter sich hatte. Es musste irgendein dunkles Wissen aus ihren Jahren bei der Polizei sein, das ihr das sagte. Yvonne betrachtete sein verlebtes Gesicht. Es war unmöglich zu sagen, wie alt der Mann war. Zwischen 35 und 50 war alles drin. Das Gesicht hatte die faltige Haut eines Menschen, die viel Zeit im Freien verbracht hatte, und das bei jedem Wetter. Das ergrauende Haar war sorgfältig geschnitten, das Kinn glatt rasiert. Sein Mund bewegte sich und zeigte zwei Reihen Zähne, die so falsch wie ebenmäßig waren. Er sagte etwas, doch Yvonne verstand ihn nicht.
    »Soll ich Sie zurück nach Hause fahren?«, wiederholte er seine Frage.
    »Ich weiß nicht«, antwortete sie. Ein pelziger Geschmack im Mund ließ ihre Zunge taub und schwer werden. »Haben Sie vielleicht etwas zu trinken für mich?«
    Er schüttelte den Kopf. »Aber ich habe auf dem Weg hierher in der Nähe eine Trinkhalle gesehen. Dort können Sie eine Flasche Wasser kaufen.« Er startete den Motor und fuhr los. Yvonne lehnte den Kopf an die kühle Fensterscheibe und schloss die Augen. Ihr war hundeelend. Durch die geschlossenen Lider nahm sie wieder das Wechselspiel von Licht und Schatten wahr und wandte das Gesicht ab. Immer wieder blitzten Bilder vor ihrem inneren Auge auf. Der Mann. Und das tote Mädchen. Yvonne wurde übel. Sie betätigte den Fensterheber, damit frische Luft ins Wageninnere gelangen konnte.
    Der Mann stellte den Mercedes in einer Taxibucht ab, schaltete den Taxameter aus und öffnete nach einem kurzen Blick über die Schulter die Fahrertür. Dann ging er zu einem kleinen Büdchen, wo er zwei Flaschen Wasser kaufte.
    »Hier«, sagte er und reichte ihr eine geöffnete Flasche durch das Beifahrerfenster. Yvonne trank gierig mehrere Schlucke. Sie merkte, wie ein Teil von ihr wieder zum Leben erwachte, wischte sich den Mund ab und hielt ihrem spendablen Gönner die halb geleerte Flasche entgegen.
    »Danke. Ich habe mir selber eine gekauft.«
    Yvonne lächelte matt. »Setzen Sie es mit auf die Rechnung.«
    »Worauf Sie sich verlassen können.« Der Mann trank nun selbst. Es war heiß, drückend und schwül. Dichte Wolken schossen wie Blumenkohl in den offenen Himmel. Bald würde es ein Gewitter geben.
    »Darf ich Ihnen eine Frage stellen?«
    Yvonne zuckte mit den Schultern und

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