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Lebenslügen / Roman

Lebenslügen / Roman

Titel: Lebenslügen / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Atkinson
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die Toilette zu hoppeln, wo sie einen aufforderten, »allein zu pinkeln«. Jackson hatte nicht gewusst, dass eine grundlegende Körperfunktion so schmerzhaft und gleichzeitig so befriedigend sein konnte. Ich pinkle, also bin ich.
    Er würde von nun an alles anders sehen. Das Wiedergeburtsding entfaltete seine Wirkung. Er war ein neuer Jackson. Halleluja.

Dr. Foster ging nach Gloucester
    W ählte einen Weg quer durchs Tal. Ging grad übern Bach, als der Steg plötzlich brach. Wählte den Weg nicht noch mal.‹ Das sagen sie bestimmt dauernd zu ihr.«
    »Zu wem?«
    »Dr. Foster.«
    »Bestimmt nicht«, sagte Jackson Brodie.
    Sie hatte ihn endlich gefunden, und jetzt hielt sie treu Wache an seinem Bett, Greyfriars Reggie.
    Wie Kriminalhauptkommissarin Monroe schien auch Dr. Foster Reggie nicht wirklich zu glauben, als sie erzählte, dass sie Jackson Brodie das Leben gerettet hatte.
    »Wirklich?«, sagte Dr. Foster sarkastisch. »Ich dachte, dass hätten wir hier im Krankenhaus getan.« Sie schien genervt von Reggies Fragen zu Jackson Brodies Zustand. »Wer bist du?«, fragte Dr. Foster rundheraus. »Bist du eine Verwandte? Ich kann nur gegenüber nahen Verwandten Auskunft über seinen Gesundheitszustand geben.«
    Gute Frage. Wer war sie? Sie war die berühmte Reggie, sie war Regina Chase, Detektivin, sie war die Virgo Regina, die sturmgeschüttelte Königin der beherzten verlassenen Waisen. »Ich bin seine Tochter Marlee«, sagte Reggie.
    Dr. Foster runzelte die Stirn. Dr. Foster runzelte immer die Stirn, wenn sie etwas sagte, und ziemlich oft, wenn sie schwieg. Sie sollte an die Falten denken, die sie in ein paar Jahren haben würde. Mum machte sich immer Sorgen um Falten. Eine Weile lang war sie abends wie ein Unfallopfer mit hochgebundenem Kinn ins Bett gegangen.
    »Du bist die Erste, an die er sich erinnert hat«, sagte Dr. Foster.
    »Das ist nett.«
    »Bleib nicht so lange, er muss sich ausruhen.«
    Man sollte denken, dass sie nach einem Ausweis fragen würden, nach einem Beweis, dass sie war, wer sie behauptete zu sein. Sie konnte jeder sein. Sie konnte Billy sein. Nur gut, dass sie bloß Reggie war.
     
    Er hatte ein eigenes kleines Zimmer. Als sie nach ihm suchte, hatte sie Angst, sie würde ihn nicht erkennen, aber sie erkannte ihn. Er sah hagerer aus, aber weniger tot. Ein nicht angerührtes Frühstück stand auf einem Tablett. Es schien eine schreckliche Verschwendung von Essen für jemanden, der zwei Tage in Folge Karamellwaffeln gefrühstückt hatte. Heute Morgen brauchte Reggie schlaftrunken eine Weile, bis sie begriff, dass sie auf Ms MacDonalds unbequemem Sofa geschlafen hatte und dass der Krach, der sie geweckt hatte, von dem schweren Gerät am Gleis stammte. Sie fragte sich, ob sie jemals wieder von ihrem eigenen Wecker in ihrem eigenen Bett geweckt würde. Zu einer von ihr festgesetzten Zeit.
    Der Becher, aus dem sie den Instantkaffee trank, hatte eine Aufschrift, die für diese frühe Morgenstunde zu kompliziert war. (»Kaufurkunde. Das ewige Leben voll bezahlt mit dem Blut von Jesus Christus.«) Dann rief sie im Krankenhaus an, und – Abrakadabra – sie hatten ihn gefunden.
     
    Er schlief, und eine Schwester kam herein, kontrollierte seinen Tropf und sagte laut: »Sie haben Besuch. Man hat Sie doch nicht vergessen. Er ist noch ein bisschen benommen vom Unfall«, sagte sie zu Reggie. »Er wird bald aufwachen.«
    Reggie saß geduldig auf einem Stuhl neben seinem Bett und beobachtete ihn. Sie hatte schließlich nichts anderes zu tun. Er war alt genug, um ihr Vater zu sein. »Dad«, sagte sie versuchsweise, aber er wachte nicht auf. Nie zuvor hatte sie dieses Wort zu jemandem gesagt. Es fühlte sich an wie ein Wort in einer fremden Sprache. Pater.
     
    Er war Kriminalpolizist. (»Früher«, murmelte er.) Er war früher auch Soldat gewesen. Was tat er jetzt?
    »Dies und das.« Alles und nichts.
    Sie zog einen Zehn-Pfund-Geldschein aus dem festen Bündel, das ihr der knauserige Mr. Hunter gestern gegeben hatte. Sie legte ihn auf seinen Nachttisch. »Falls Sie was brauchen«, sagte sie. »Sie wissen schon, Schokolade oder eine Zeitung.«
    »Ich geb’s dir zurück«, sagte er.
    Reggie fragte sich, wie er das bewerkstelligen wollte. Er hatte kein Geld, keinen Penny. Er hatte keine Brieftasche, keine Kreditkarten, kein Telefon, überhaupt nichts. Er hatte gerade erst seinen Namen zurückbekommen (»Ja, wir hatten Probleme, deinen Vater zu identifizieren«, sagte Dr. Foster). Kein Wunder, dass

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