Lebenslügen / Roman
Battersea, die plüschig eingerichtet und voll war – Möbel, Nippes, Bilder, die sogar Jackson als »gut« erkannte. Bernie hatte erzählt, dass er »im Sicherheitsgeschäft« (was sonst?) war, aber Jackson hätte nicht vermutet, dass Sicherheit so gut dotiert sein konnte. Sein eigenes finanzielles Glück hatte Jackson nicht erwähnt.
Die zweite Überraschung waren Bernies Gäste. »Ein paar Leute auf einen Drink« waren, so hörte Jackson einen Gast es nennen, »eine von Bernies berühmten Soirées«. Jackson war noch nie zuvor auf einer »Soirée« gewesen.
Die Gäste waren gutgekleidete Londoner – Männer mit modischen Brillen und Frauen in hässlichen und extrem unbequemen Schuhen. Jackson war von Natur aus misstrauisch gegenüber gutgekleideten Männern – richtige Männer (Männer aus dem Norden) hatten weder Zeit noch Lust, Designerklamotten zu kaufen, und er war der Überzeugung, dass keine Frau Schuhe tragen sollte, in denen sie, falls nötig, nicht davonlaufen konnte. (Obwohl er ein paar Jahre zuvor gesehen hatte, wie eine junge Frau ihre Schuhe einfach wegwarf, um davonzulaufen, aber sie war Russin und verrückt gewesen, wenn auch besorgniserregend attraktiv. Er dachte bisweilen noch immer an sie.) Keine der Frauen bei Bernies »Soirée« sah aus, als wäre sie bereit, ihre Manolos oder Jimmy Choos wegzuwerfen, um rasch zu entkommen. Ja, er kannte die Namen von Designerschuhmachern, und nein, eigentlich sollten richtige Männer aus dem Norden so etwas nicht wissen, aber er musste letzten Sommer mit Marlee im Flughafen von Toulouse auf seinen Flug warten und war von ihr unbarmherzig aus den Seiten von Heat und OK ! belehrt worden.
Bernie begrüßte ihn überschwenglich an der Tür und führte ihn in die schon etwas überhitzte Menge. Woher Bernie diese Leute kannte, war ihm ein Rätsel. Keiner von ihnen schien zu dem natürlichen sozialen Kreis eines fünfzigjährigen Exmilitärpolizisten zu gehören.
»Cocktail?«, fragte Bernie, und Jackson sagte, »Das kann ich mit meiner Religion nicht vereinbaren. Hast du Bier?«, und Bernie lachte, stieß ihn in den Arm und sagte: »Der gute alte Jackson.« Jackson glaubte nicht, dass er der gute alte Jackson war, er hatte sich mehrmals gehäutet (und sich mehrere neue Häute zugelegt), seitdem er Bernie das letzte Mal gesehen hatte, aber er sagte es nicht.
Jackson war nicht gut auf Partys. Er war unfähig zu Smalltalk. Hallo, ich heiße Jackson Brodie und war früher Polizist. Vielleicht hatte es tatsächlich etwas mit den Leben zu tun, die er gelebt hatte, zuerst Soldat und dann Polizist – beide Berufe begünstigten müßiges Geplauder nicht. Auf den ersten Blick wirkten die Menschen auf Bernies Party (Entschuldigung, Soirée) merkwürdig hohl, als wären sie angeheuert worden, um Feierlaune vorzuspielen. Jackson hielt sich am Rand der Versammlung auf wie ein Spätankömmling an einem Wasserloch, und fragte sich, wie lange er den Abend noch erdulden musste, bis er sich ruppig entschuldigen und gehen konnte.
Zu diesem Zeitpunkt tauchte Tessa neben ihm auf und flüsterte ihm ins Ohr: »Ist es nicht grässlich?« Jackson bemerkte erfreut nicht nur, dass sie ein schlichtes Leinenkleid trug, das im Kontrast zu der sonderbaren Kleidung einiger anderer Frauen noch attraktiver wirkte, sondern auch Sandalen mit niedrigen Absätzen, in denen sie leicht davonlaufen konnte. Sie rannte nicht, sondern blieb an seiner Seite. »Sie scheinen mir ein sicherer Hafen zu sein«, sagte sie.
Nach fünf Minuten aufgrund des Lärmpegels im Raum beschwerlicher Unterhaltung sagte er mutig zu ihr: »Wie wär’s, wenn wir hier verschwinden?« Und sie sagte: »Nichts lieber als das.« Sie gingen in eine Kneipe in Chelsea auf der anderen Seite des Flusses, nicht wirklich Jacksons Sorte von Kneipe, aber tausendmal besser als bei Bernie. Sie unterhielten sich bis zur Sperrstunde bei einer zivilisierten Flasche Cabernet Sauvignon, bis er sie zu Fuß bis zu ihrer Wohnung (»kleiner als eine Briefmarke«) in Covent Garden begleitete. Auf dem letzten Stück nahm er ihre Hand (»Schüchterne Jungs bringen’s nicht weit« – die Worte seines lange toten Bruders kamen ihm unerwartet in den Sinn), und vor ihrer Tür drückte er ihr einen festen, aber sittlichen Kuss auf die Wange und wurde dafür belohnt. »Sollen wir das wieder machen? Wie wär’s mit morgen?«, sagte sie.
Er hätte keine bessere Frau entwerfen können. Sie war fröhlich, optimistisch und lieb. Sie war lustig,
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