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Lebenslügen / Roman

Lebenslügen / Roman

Titel: Lebenslügen / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Atkinson
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manchmal sogar komisch und viel schlauer als er, aber im Gegensatz zu seinen früheren Frauen befand sie es nicht für nötig, es ihm ständig unter die Nase zu reiben. Sie war anmutig (»viel Ballett, als ich klein war«) und athletisch (»Tennis dito«), mochte Kinder und Tiere, war aber dabei nicht übermäßig sentimental. Sie liebte ihren Job, ließ sich von der Arbeit jedoch nicht überwältigen. Sie war fünfzehn Jahre jünger als er (»Du glücklicher Hund«, sagte Bernie, als er sich von Jackson »updaten« ließ), und hatte sich den glühenden Enthusiasmus der Jugend bewahrt und wirkte, als würde sie ihn nie verlieren. Sie hatte langes hellbraunes Haar mit einem dichten Pony, so dass sie aussah wie eine Schauspielerin oder ein Modell aus den sechziger Jahren (Jacksons bevorzugter Look bei Frauen). Sie war jemand, um den man sich nicht kümmern musste, der jedoch ungeheuchelt dankbar war, wenn man es tat. Sie konnte Auto fahren, kochen und sogar nähen, sie wusste, wie man einfache Reparaturen ausführte, war erstaunlich genügsam, konnte jedoch auch sehr großzügig sein (Beweis war die Breitling – ihr Hochzeitsgeschenk für ihn) und beherrschte mindestens zwei Beischlafpositionen, die Jackson noch nie zuvor ausprobiert hatte (von deren Existenz er nichts gewusst hatte, aber das behielt er für sich). Sie war, kurz gesagt, wie Gott Frauen geplant hatte.
    Woher kannte sie jemanden wie Bernie? »Freund eines Freundes eines Freundes«, sagte sie vage. »Normalerweise gehe ich nicht auf Partys. Ich ende immer wie eine Stehlampe in einer Ecke. Ich kann nicht gut Smalltalk machen. Bis ich elf war, ging ich in eine Klosterschule, dort lernt man früh zu schweigen.« Jacksons Schwester Niamh war in eine Klosterschule gegangen. Mit dreizehn verkündete sie, dass sie Nonne werden wollte. Ihre Mutter, die zwar eine fromme irische Katholikin war, reagierte entsetzt. Sie hatte sich auf eine Zukunft gefreut, in der eine verheiratete Niamh kam und ging, Kinder im Schlepptau. Zu aller Erleichterung war Niamhs Begeisterung dafür, eine Braut Christi zu werden, von kurzer Dauer. Jackson war damals erst sechs, doch er wusste bereits, dass Nonnen ihr Leben eingesperrt und fern von ihren Familien verbringen, und die Vorstellung, dass ihm Niamh, die so voller Leben war, für immer genommen würde, ertrug er nicht.
    Und dann passierte es doch.
    Er spürte, wie seine Kopfschmerzen sich vermehrten, sich übereinander stapelten.
     
    Als er wieder aufwachte, saß das Mädchen wieder da, blinzelte ihn an wie eine kleine Eule. Sie sprach Nonsens. »Dr. Foster ging nach Gloucester, nahm einen Weg quer durchs Tal.«
    Im Flur hörte Jackson Kinderstimmen ziemlich schlecht Weihnachtslieder singen. Zum ersten Mal fiel ihm auf, dass sein Zimmer halbherzig mit grellem Weihnachtsschmuck dekoriert war. Er hatte Weihnachten ganz vergessen. Er fragte sich, ob das Mädchen etwas mit dem Kinderchor zu tun hatte. Sie sah so alt aus wie Marlee und betrachtete ihn konzentriert, als erwartete sie etwas Außergewöhnliches von ihm.
    »Sie haben gesagt, dass Sie Soldat waren«, sagte sie.
    »Das ist lange her.«
    »Die Schwester hat gesagt, dass sie deswegen Ihre Blutgruppe wussten.«
    »Ja.« Seine Stimme krächzte noch immer. Er war eine schwache Version seiner selbst, ein fehlerbehafteter Klon, alles funktionierte, aber nicht ganz richtig.
    »Mein Vater war Soldat.«
    Er kämpfte sich in eine sitzende Position, und sie half ihm mit den Kissen. »Ja? In welchem Regiment?«, fragte er und ließ sich erstaunlich bereitwillig auf dieses angenehme Thema ein.
    »Royal Scots«, sagte sie.
    »Warst du gestern auch hier?«, sagte er. »Der Tag vor heute«, stellte er klar. Er freute sich, dass er mit der Zeit allmählich wieder zurechtkam. Gestern, heute, morgen, so funktionierte das, ein Tag nach dem nächsten. Morgen, und morgen, und dann wieder morgen. Julia hatte im Birmingham Repertory Theatre eine wahnsinnige, blutrünstige Lady Macbeth gespielt. »Sie spielt mal wieder mit ihrem Haar«, schnaubte Amelia auf dem Sitz neben ihm. Jackson fand sie gut, jedenfalls besser, als er erwartet hatte.
    »Nein«, sagte sie. »Ich habe Sie gerade erst gefunden.«
    Er fragte sich, ob sie freiwillig Leute besuchte, die sonst niemanden hatten (denn offenbar hatte er niemanden), im Gefängnis zum Beispiel. Vielleicht hatte die Armee sie geschickt, wie ein Carepaket.
    »Sie wären verblutet«, sagte sie. Sie schien sich sehr für sein Blut zu interessieren. In

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