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Lebenslügen / Roman

Lebenslügen / Roman

Titel: Lebenslügen / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Atkinson
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ihr eigenes Kind ums Leben kommen, würde Louise nicht weitermachen, sie würde sich umbringen, auf nette, saubere Weise, keine Schweinerei für die Notfalldienste.
    Archie wünschte sich zum siebzehnten Geburtstag Fahrstunden, und Patrick sagte: »Gute Idee, Archie. Wenn du die Prüfung bestehst, kaufen wir dir einen anständigen Gebrauchtwagen.« Louise überlegte unterdessen, wie sie Archie davon abhalten könnte, sich jemals an ein Lenkrad zu setzen. Sie fragte sich, ob sie sich möglicherweise Zugang zum Computer der Zulassungsstelle verschaffen und seinen vorläufigen Führerschein sperren lassen könnte. Sie war schließlich Hauptkommissarin, es sollte nicht jenseits ihrer Kompetenzen sein, Polizistin war schließlich das genaue Gegenteil von Krimineller.
    Der Fahrer des Wagens davor war ebenfalls schwer verletzt worden, und es war Patrick gewesen, der die Beine des Mannes in einer stundenlangen Operation wieder zusammenflickte. Der LKW -Fahrer, der nicht einmal einen Kratzer hatte, wurde zu drei Jahren Gefängnis verurteilt und war mittlerweile wahrscheinlich wieder auf freiem Fuß. Louise hätte ihm ohne Narkose sämtliche Organe entfernt und sie würdigeren Menschen überlassen. Das erzählte sie Patrick nach der Operation bei einer schlechten Tasse Kaffee in der Krankenhauskantine. »Das Leben besteht aus Zufällen«, sagte er. »Mehr als die Scherben aufsammeln, kann man nicht tun.« Er war kein Polizist, aber es war auch nicht, als würde sie außerhalb der Gemeinde heiraten. Er verstand.
     
    Er war Ire, das half immer. Ein Mann mit irischem Akzent konnte weise und poetisch und interessant klingen, auch wenn er es nicht war. Doch Patrick war all das. »Momentan zwischen zwei Ehefrauen«, sagte er, und sie hatte gelacht. Sie wollte keinen Diamanten, weder einen großen noch einen anderen, doch sie hatte trotzdem einen bekommen. »Du kannst ihn verkaufen, wenn du dich von mir scheiden lässt«, sagte er. Er besaß Autorität, und sie mochte, wie er damit alles übernahm, wie er sich keinen Blödsinn von ihr gefallen ließ, aber immer freundlich blieb, als wäre sie kostbar und hätte doch Sprünge, die gekittet werden könnten. Er war Chirurg und glaubte, dass alles gekittet werden konnte. Sprünge konnten nie gekittet werden. Sie war die goldene Schale, früher oder später würde sich der Sprung zeigen. Und wer würde dann die Scherben aufsammeln?
    Zum ersten Mal im Leben hatte sie die Kontrolle abgegeben. Und was war passiert? Sie war völlig aus dem Gleichgewicht geraten, das war passiert.
    Oder ein Arrangement für den Esszimmertisch. Etwas Kleines, Rotes. Für die rote Gestalt auf dem Teppich. Keine Rosen. Rote Rosen sagten das Falsche. Louise wusste nicht, was sie sagten, aber was immer es war, es war falsch.
    »Streng dich nicht so an«, sagte Patrick und lachte.
    Aber darin war sie nicht gut, und wenn sie sich nicht anstrengte, scheiterte sie. »Ich kann keine Beziehungen«, sagte sie, als sie zum ersten Mal gemeinsam im Bett aufwachten.
    »Kannst du nicht, oder willst du nicht?«, sagte er.
    Er hatte sie gezähmt, als wäre sie ein nervöses, wildes Pferd. (Aber was, wenn er einfach nur ihren Willen gebrochen hatte?) Ein Schritt nach dem anderen, langsam, leise, bis er sie eingefangen hatte. Die Zähmung der Widerspenstigen.
    Er konnte Beziehungen. Er war fünfzehn Jahre glücklich verheiratet gewesen, als vor zehn Jahren eine Wagenladung jugendlicher Autodiebe auf einer zweispurigen Straße überholte und frontal mit dem Polo seiner Frau kollidierte. Wer immer das Rad erfunden hatte, hatte eine Menge zu verantworten. Samantha. Patrick und Samantha. Sie hatte er nicht kitten können, nicht wahr?
    Sie hatte noch genügend Zeit, Zeit, um Blumen zu kaufen, Zeit, um bei Waitrose in Morningside einzukaufen, Zeit, um das Abendessen zu kochen. Seebarsch auf Puy-Linsen, zweimal gebackene Roquefortsoufflés als ersten Gang, eine Zitronentarte zum Nachtisch. Warum es sich einfach machen, wenn es auch schwierig ging? Sie war eine Frau, sie konnte also, technisch gesprochen, alles. Die Roquefortsoufflés waren ein Rezept von Delia Smith. Aufstieg und Fall der Bourgeoisie. Ha, ha. O Gott. Was passierte nur mit ihr, sie wurde zu einer normalen Person.
    Sie schwirrte vor Müdigkeit, das stimmte nicht. (Warum? Warum war sie so müde?) In einem früheren Leben, bevor ihre Schönheit in der Größe eines Diamanten gemessen wurde, hätte sie sich mit einem (sehr großen) Drink entspannt, eine Pizza bestellt, ihre

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