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Lebenslügen / Roman

Lebenslügen / Roman

Titel: Lebenslügen / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Atkinson
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füllten sie es mit den Sachen aus Patricks altem Haus, und die Wohnung verlor ihre Neutralität. Die erste Mrs. de Winter lebte in ihren Dingen weiter. Patrick hatte angeboten, alles auszutauschen, »bis zum letzten Teelöffel«, und Louise hatte gesagt, »Sei nicht albern«, obwohl es genau das war, was sie wollte, dass er tat, doch ohne dass sie ihn darum bitten musste. Heirate mit Muße, bereue in Eile.
    Patrick und Samantha hatten schöne Dinge: das Wedgewood, das Silberbesteck, Damasttischtücher, Serviettenringe, Kristallgläser. Dinge, die man zur Hochzeit geschenkt bekam, Hab und Gut einer traditionellen Ehe. Louises Besitztümer sahen neben seinen wie die eines Flüchtlings aus, der viel Zeit bei IKEA verbrachte. Als sie die Wäschetruhe (eine Wäschetruhe – wer hatte eine Wäschetruhe? Patrick und Samantha) zum ersten Mal öffnete, war sie beunruhigt angesichts des gestärkten und gebügelten Inhalts, der aussah, als wäre er nicht mehr gelüftet worden, seitdem Samantha zum letzten Mal am Steuer ihres Autos gesessen hatte.
    Louise erinnerte sich an eine Ballade oder ein Gedicht über eine Hochzeit, die in einem großen Haus vor langer Zeit stattfand. Die Gäste spielten Verstecken (man stelle sich das heutzutage vor). Die Braut versteckte sich in einer riesigen Truhe in einem entlegenen Teil des Hauses, in dem niemand nach ihr suchte. Der Deckel der Truhe war mit einer verborgenen Feder versehen und konnte nur von außen geöffnet werden, und sie erstickte darin, noch bevor sie ihre Hochzeitsnacht erleben durfte. Jahre später fand man ihr Skelett im Hochzeitskleid. Lebendig begraben – aber andererseits passierte das auch in manchen Ehen. Wer weiß, vielleicht war die arme Braut tot besser dran. Alison Needler sagte, dass ihr Exmann sie, »wenn er gekonnt hätte, in einer verschlossenen Kiste gehalten hätte«. »Die Mistelbraut«, so hieß die Ballade. Wenn man lange genug wartete, schloss das Gedächtnis immer zu einem auf. Eines Tages würde es das nicht mehr tun.
    »Liebling?« Patrick stand lächelnd neben ihr. Er hatte eine weitere Flasche Wein geöffnet, ging um den Tisch wie ein Kellner und füllte die Kristallgläser. Er drückte ihre Schulter, und sie erwiderte sein Lächeln. Er war viel zu gut für sie. Zu nett. Es provozierte sie zu schlechtem Verhalten, sie wollte herausfinden, wie weit sie gehen konnte, die Nettigkeit zerschlagen. Ein kleines Problem mit intimen Beziehungen, Louise?
    »Also noch mal, Cheers«, sagte Patrick, als er sich setzte. Sie stießen an, und das Kristall klang wie eine Glocke. Rief sie nach Hause. Nicht dieses Zuhause, ein anderes, das sie noch nicht gefunden hatte.
    »Cheers«, sagte Tim, und Louise sagte »Slainte«, um sie daran zu erinnern, dass sie jetzt in ihrem Land waren.
    Sie fuhr mit dem Finger über den Rand des Glases. Samanthas Kristallglas.
    »Louise?«
    »Mhm?«
    »Ich habe gerade zu Patrick gesagt«, sagte Bridget, »dass ihr uns im Sommer besuchen müsst.«
    »Das wäre toll, ich war noch nie in Eastbourne. Wohnt ihr nahe am Strand?«
    »Wimborne. Das ist nicht an der Küste«, sagte Bridget. In Bridgets selbstgefälligem und gut gepolstertem Mittelklassekörper steckte vielleicht ein absolut anständiges menschliches Wesen. Oder auch nicht.
    Louise trank den Rest ihres Weines in einem Zug aus und suchte nach der Erwachsenen in sich selbst. Fand sie. Verlor sie wieder.
     
    »In der Kühltruhe ist Eis«, sagte Patrick. »Cherry Garcia«, sagte er zu Bridget. »Ist das okay?«
    »Was soll das heißen?«, sagte sie quenglig. »Ich habe es nie verstanden.«
    »The Grateful Dead«, sagte Patrick. »War nie deine Musik, Bridie. Ich meine mich zu erinnern, dass du eher Fan der Patridge Family warst.«
    »Und du nicht?«, sagte Louise zu ihm. »Auf mich hast du nie den Eindruck eines Deadhead gemacht.«
    »Manchmal frage ich mich, mit wem du verheiratet zu sein glaubst«, sagte er. Was sollte das heißen? Er stand auf und stellte die Teller zusammen. Das Essen, jetzt kalt und verklebt, sah widerlich aus.
    »Ich hole das Eis«, sagte Louise und sprang so schnell auf, dass sie beinahe Tims Glas umwarf. Sie fing es im letzten Moment auf.
    »Gut gehalten«, murmelte er. Er war so englisch. Gehörte einer anderen Klasse an als Louise. Louise reagierte automatisch auf den Akzent einer dominanten Kultur. Es war komisch, wie allein man sich manchmal in einem Raum voller Menschen fühlte. Vier Menschen, einer davon sie selbst. Fremde in einem fremden Land,

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