Lebenslügen / Roman
verströmte einen komischen Geruch, wie Katzenpisse.
In Mums Schlafzimmer waren die Schubladen ausgeleert, und Mums Kleider lagen auf dem Boden und waren mit einem Messer oder einer Schere behandelt worden. Etwas, was aussah wie Schokolade, war auf der rosa Bettwäsche mit Lochstickerei verschmiert. Reggie war sicher, dass es nicht Schokolade war. Es roch jedenfalls nicht nach Schokolade.
Reggie bewahrte ihre Kleidung in ihrem alten Schlafzimmer auf, und auch hier war alles herausgezerrt und auf den Boden geworfen. Es roch widerlich, doch Reggie brachte es nicht über sich, ihre Kleider eingehender anzusehen.
In der Küche war alles aus den Schränken geworfen worden, der Kühlschrank stand weit offen, überall lagen Lebensmittel und Besteck. Teller und Tassen waren zerbrochen. Milch war über den Boden gegossen, eine Flasche mit Tomatensoße gegen die Wand geschmettert worden, wo sie einen großen arteriell roten Fleck hinterlassen hatte.
Die Wände der Dusche – ein im Flur eingebauter Schrank, der gefliest und ans Wasser angeschlossen war – waren ungeschickt mit den Worten »Du bist tot«, besprüht. Reggie spürte, wie Galle in ihr aufstieg, wovon ihr leicht schlecht wurde. Du kanst dich nicht vor uns verstecken. Wer waren »uns«? Wer waren diese Leute, die nicht wussten, wie man »kannst« schreibt? Sie mussten auf der Suche nach Billy sein. Billy kannte viele ungrammatikalische Menschen.
Sie stieß einen leisen Schrei aus, es klang wie ein kleines verwundetes Tier. Das war ihr Zuhause, das war Mums Zuhause, und es war verwüstet. Entweiht. Nicht, dass es viel gewesen wäre, aber es war alles, was Reggie hatte.
Dann stieß eine Hand sie heftig, und sie stürzte in die Dusche, riss im Fallen den Vorhang herunter. Ein paar unglückselige Bilder aus Psycho gingen ihr durch den Sinn. Sie schlug sich die Stirn an, als sie aufprallte, und sie hätte am liebsten geweint.
Zwei Männer. Jung, gangsterhaft. Einer mit roten Haaren, einer blond gebleicht, sein Gesicht übersät mit alten Aknenarben, schartig wie Orangenschale. Sie hatte keinen von beiden je zuvor gesehen. Der Blonde hielt ein Messer mit gezackter Klinge, das aussah, als könnte man damit einen Hai aufschlitzen. Reggie sah einen Fetzen von Mums Bettwäsche mit Lochstickerei an einem Zacken hängen. Ihr drehte sich der Magen um. Sie hatte Angst, sich nass zu machen, oder Schlimmeres. Ich bin kein Kind mehr, hatte sie gestern Abend zu den Polizisten gesagt, aber es stimmte nicht.
Sie dachte an ihre Mutter, die in ihrem wenig schmeichelhaften organgefarbenen Badeanzug aus Lycra neben dem Pool lag. Reggie wollte nicht in der Dusche als unwürdiges Häufchen tot gefunden werden, in Ms MacDonalds schrecklichen Kleidern. Sie hatte nicht einmal Unterwäsche an. Sie spürte ihren Herzschlag unangenehm heftig im Hals. Wollten sie sie umbringen? Vergewaltigen? Beides? Schlimmeres? Sie konnte sich Schlimmeres vorstellen, das Messer und die Zeit spielten dabei eine Rolle. Sie musste etwas tun, etwas sagen. Sie hatte gelesen, dass es wichtig war, mit den Angreifern zu sprechen, damit sie einen als Menschen, nicht als Objekt sahen. Reggies Mund war trocken, als hätte sie Sandpapier gegessen, und Worte zu bilden war mühsam. Sie wollte sagen, »Bringt mich nicht um, ich habe noch nicht gelebt«, aber stattdessen flüsterte sie: »Billy ist nicht da. Ich habe ihn schon ewig nicht mehr gesehen. Ehrlich.«
Die Männer wechselten einen verwirrten Blick. Rothaar sagte: »Wer ist Billy? Wir suchen nach einem Typ namens Reggie.«
»Nie von ihm gehört. Ich schwör’s.«
Unglaublicherweise wandten sich die Männer zum Gehen. »Wir kommen wieder«, sagte der Blonde. Dann sagte der Karottenhaarige, »Wir haben ein Geschenk für dich«, zog ein Buch aus der Tasche – unverwechselbar ein Klassiker von Loeb – und warf es ihr zu wie eine Handgranate. Sie versuchte nicht einmal, es aufzufangen, dachte, es würde in ihren Händen explodieren, konnte nicht glauben, dass es nur etwas so Harmloses wie Worte enthielt. Sie hörte Ms MacDonalds Stimme sagen: »Worte sind die mächtigsten Waffen, über die wir verfügen.« Wohl kaum. Worte konnten einen nicht vor einem riesigen Schnellzug retten, der mit Höchstgeschwindigkeit auf einen zuraste. (Hilfe!) Sie konnten einen nicht vor Gangstern retten, die Geschenke brachten. (Nein, danke.)
»Hasta la vista, Baby«, sagte der Rothaarige, und beide gingen. Sie waren Idioten, Idioten mit Klassikern von Loeb.
Sie nahm den
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