Lebenslügen / Roman
grünen Loeb, der in der Duschwanne gelandet war. Der erste Band der Ilias. Wie konnte das eine Botschaft sein? Sie las die verblasste Inschrift auf dem Deckblatt: Moira MacDonald, Girton College, 1971. Komisch, sich Ms MacDonald jung vorzustellen. Komisch, sie sich tot vorzustellen. Noch komischer, sich vorzustellen, dass sich einer ihrer fehlenden Loebs in den Händen von Billys Feinden befand.
Trojanische Pferde hatten ein überraschendes Innenleben und so auch Ms MacDonalds Ilias. Als Reggie das Buch aufschlug, stellte sie fest, dass es einer rasiermesserscharfen Operation unterzogen worden war, sein Herz in einem ordentlichen Quadrat herausgeschnitten. Ein Sarg für etwas. Ein Sarg und ein Grab. Ein perfektes Versteck. Wofür?
Reggie glaubte, sie wären verschwunden, aber dann steckte der Blonde plötzlich den Kopf durch die Tür. Reggie schrie.
»Hab was vergessen«, sagte er und lachte über ihr Entsetzen. »Erzähl der Polizei nichts von diesem kleinen Besuch oder, rate mal!« Er formte mit Zeigefinger und Daumen eine Pistole und zielte auf sie. Dann ging er wieder.
Reggie erstaunte sich selbst, indem sie plötzlich den ganzen Toast in die Toilette erbrach. Es dauerte eine Weile, bis sie aufhörte zu zittern. Sie fühlte sich, als hätte sie Grippe, aber sie nahm an, dass es nur der Schrecken war.
Sie stolperte die Treppe hinunter, in kaltem Schweiß gebadet und mit hämmerndem Herzen. Sie torkelte zurück zu Mr. Hussains Laden. »Alles in Butter?«, fragte Mr. Hussain, und sie murmelte: »Nein, die Hälfte in Margarine.« Das war ein schlechter Witz von Billy, den er als Kind gemacht hatte. Er war damals schon nicht komisch gewesen. Sollte sie es Mr. Hussain erzählen? Was würde passieren? Er würde ihr hinten im Laden eine Tasse Tee mit viel Zucker machen und die Polizei rufen, und kämen dann die Männer zurück und erschössen sie mit einer imaginären Pistole? Würden sie sie mit Worten umbringen? Sie sahen aus wie Typen, die echte Pistolen hatten. Sie sahen aus wie Billy.
»Muss weiter, Mr. H. Sonst verpasse ich den Bus.«
Wenn nur Sadie bei ihr wäre, dachte Reggie, als sie so schnell wie möglich zur Bushaltestelle ging. Wenn man einen großen Hund dabeihatte, überlegten es sich die Leute zweimal, ob sie sich mit einem anlegen wollten. »Es ist, als ob sich das Rote Meer teilt, wenn man mit Sadie unterwegs ist«, hatte Dr. Hunter einmal zu ihr gesagt und die Ohren des großen Hundes gekrault. »Mit ihr fühle ich mich immer sicher.« Musste Dr. Hunter sich sicher fühlen? Warum? Hatte es etwas mit ihrer Geschichte zu tun?
Waren sie wirklich auf der Suche nach ihr gewesen? Hatten sie sich in ihrem Geschlecht getäuscht (ein Typ namens Reggie)? Warum? Sie hatte nichts weiter verbrochen, außer Billys Schwester zu sein. Vielleicht reichte das schon. Sie versuchte, ihren Bruder anzurufen und hatte »Die Person, die Sie sprechen wollen, ist derzeit nicht erreichbar« in der Leitung. Sie wählte Dr. Hunters Nummer, und es klingelte und klingelte, ohne dass sich jemand meldete. Du bist tot. Reggie und die Toten. Es gab schon genug davon.
Das Komische war, dass Reggie, als sie mit Mr. Hunter telefoniert hatte, Sadie im Hintergrund bellen hörte. Wenn sie nicht in der Arbeit war, nahm Dr. Hunter Sadie überallhin mit. Warum sollte sie sie zurücklassen?
»Ihre Tante ist allergisch.«
»Tante Agnes?«
»Ja.«
»Kann Dr. Hunter ihr nicht etwas dagegen geben? Antihistamine oder so? Warum geht sie nicht an ihr Handy, Mr. Hunter?«
»Lass Jo in Ruhe, Reggie. Sie macht eine schwere Zeit durch. Es reicht schon, dass die Vergangenheit sie wieder heimsucht, da musst nicht auch du noch hinter ihr her sein. Okay?«
»Aber –«
»Weißt du was, Reggie?«, sagte Mr. Hunter.
»Was?«
»Belassen wir’s dabei. Ich habe im Augenblick eine Menge anderer Dinge um die Ohren.«
»Ich auch, Mr. H. Ich auch.«
Im Kampf vermisst
V or langer Zeit, vor langer, langer Zeit, als die Welt und Jackson noch viel jünger waren, hatte er sich seine Blutgruppe oberhalb des Herzens auf die Brust tätowieren lassen. Ein Soldatentrick, damit die Ärzte einen, wenn man angeschossen oder in die Luft gejagt wurde, so rasch wie möglich behandeln konnten. Andere, mit denen Jackson in der Armee war, hatten ihre Kollektion erweitert, Frauen und Bulldoggen und Union Jacks und, ja, tatsächlich, das Wort »Mutter« hinzugefügt, doch Jackson war nie ein Fan des Tätowierens gewesen und hatte seiner Tochter
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