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Lebenslügen / Roman

Lebenslügen / Roman

Titel: Lebenslügen / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Atkinson
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neuer scheckkartengroßer mit Foto, vielleicht hatte er vergessen, ihn erneuern zu lassen, als er umzog?
    Jackson sah sie ausdruckslos an. »Keine Ahnung.«
    »Na ja, die ersten Tage«, sagte sie frohgemut. »Jemand wird auftauchen und Anspruch auf Sie erheben.«
    Es war seltsam, mit den Folgen einer Katastrophe zu leben, an die man keinerlei Erinnerung hatte. Er konnte sich an nichts, was mit dem Zugunglück zu tun hatte, erinnern, er konnte sich an überhaupt nichts erinnern. Er war ein leeres Blatt Papier, eine Uhr ohne Zeiger. Jetzt wünschte er, er hätte sich mit mehr Informationen brandmarken lassen. Neben seiner Blutgruppe hätte er seinen Namen, seinen Rang und seine Nummer eintätowieren lassen sollen.
    »Ich habe meiner Katze einen Chip einpflanzen lassen«, sagte eine Krankenschwester. »Jetzt bin ich ruhiger.«
     
    »Ich bin gestorben«, sagte er zu einer neuen Ärztin.
    »Aber nur kurz«, tat sie es ab, als müsste man wesentlich länger tot sein, um sie zu beeindrucken. Dr. Foster schien nicht beim Vornamen genannt werden zu wollen.
    »Aber technisch …«, sagte er, zu schwach, um das Gespräch weiterzuführen.
    Sie seufzte, als würden Patienten beständig mit ihrem toten oder lebenden Zustand hadern. »Ja. Technisch tot«, gestand sie ihm zu. »Ganz kurz.«
     
    Er war schon ein Leben lang hier. Wie viele Wochen? »Achtzehn Stunden«, sagte die Ärztin. Er war in der Hölle (oder dem Himmel) gewesen und wieder zurückgekehrt, und es hatte nicht einmal einen Tag gedauert. Ziemlich beeindruckend. Und wann könnte er nach Hause?
    »Wenn Sie wissen, wo Sie wohnen. Wie wäre das?«, fragte Dr. Foster.
    »Klingt fair«, sagte Jackson.
     
    Er schlief. Das tat er. Er war ein Schläfer. Er schlief jahrelang. Als er erwachte, erzählten sie ihm wieder von dem Zugunglück. Eine Schwester zeigte ihm die Titelseite einer Zeitung. » CARNAGE «, stand darauf. Er wusste nicht mehr, was das Wort bedeutete. Er nahm an, dass es nichts mit Cars, Autos, zu tun hatte. Er mochte Autos. Er war ein Mann namens Andrew Decker, der Autos mochte, aber mit dem Zug fuhr, mit unbekanntem Ziel. Keine Fahrkarte, kein Telefon, keine Lebenszeichen. Niemand, der bemerkt hatte, dass er fort und nicht zurückgekommen war.
    Wie lange war er jetzt hier?
    »Zwanzig Stunden«, sagte Dr. Foster.

Reggie Chase, Detektivin
    I ch dachte, ich könnte mit dem Hund spazieren gehen.«
    »Mit dem Hund?«
    »Sadie.«
    Mr. Hunter war heiser. Er war nicht rasiert und sah müde aus. (Morgens ist er wie ein Bär.) Er roch nach den Zigaretten, die er angeblich »vor einer Ewigkeit« aufgegeben hatte. Die Küche war bereits ein Saustall. Er schien sie an der Schwelle warten lassen zu wollen, statt sie hineinzubitten. Reggie sah eine halbleere Whiskyflasche auf dem Tisch stehen. »Es gelten Junggesellenregeln«, sagte er und lachte kurz. »Wenn die Katze aus dem Haus ist, tanzen die Mäuse auf dem Tisch.« Zwei leere Tassen standen auf dem Tisch, eine mit Lippenstiftspuren am Rand, helle Koralle, nicht Dr. Hunters Farbe. Fiel das auch unter Mr. Hunters Junggesellenregeln?
    »Da Dr. Hunter Sadie normalerweise ausführt«, sagte Reggie, »habe ich mir gedacht, dass ich das übernehmen könnte, so lange sie bei ihrer Tante ist. Tante Agnes.«
    Mr. Hunter rieb sich die Bartstoppeln in seinem Gesicht, als hätte er Schwierigkeiten, sich zu erinnern, wer Reggie war. Sadie hatte dieses Problem nicht, als sie an Mr. Hunters Seite auftauchte und bei ihrem Anblick mit dem Schwanz wedelte, wenn auch gemäßigter als üblich.
    »Haben Sie mit Dr. Hunter gesprochen, seitdem sie fort ist?«
    »Ja, natürlich habe ich das.«
    »Wie haben Sie mit ihr gesprochen?«
    »Wie?« Mr. Hunter runzelte die Stirn. »Mit dem Telefon natürlich.«
    »Ihrem Handy?«
    »Ja, über ihr Handy.«
    »Nur dass ich versucht habe, Dr. Hunter auf ihrem Handy anzurufen, und sie meldet sich nie.«
    »Sie wird viel zu tun haben.«
    »Mit der Tante?«
    »Ja, mit der Tante.«
    »Tante Agnes? In Hawes?«
    »Ja und ja. Ich habe mir ihr gesprochen, Reggie. Es geht ihr gut. Sie will nicht gestört werden.«
    »Gestört?«
    »Was hast du mit deinem Kopf gemacht?«, fragte Mr. Hunter und wechselte das Thema. »Du siehst schlimmer aus, als ich mich fühle.« Reggie betastete vorsichtig die Beule auf ihrer Stirn, wo sie in der Dusche aufgeschlagen war.
    »Hab nicht aufgepasst, wohin ich gehe«, sagte sie.
    Sadie winselte ungeduldig, sie hatte ein paar Sätze zuvor die Worte »spazieren

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