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Lebenslügen / Roman

Lebenslügen / Roman

Titel: Lebenslügen / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Atkinson
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dadurch nicht besser.
    »Und?«, sagte sie. »Hat der Mann ein schlechtes Karma, oder versucht jemand, ihm eine Botschaft zu übermitteln? Er gehört übrigens ganz Ihnen, er sagt nichts, sieht aber aus, als hätte er große Sorgen.«
    Kriminaloberkommissar Sandy Mathieson, ein Mann, der Louises Ansicht nach über seine Fähigkeiten hinaus aufgestiegen war, steckte den Kopf zur Tür herein. Wenn es einen Sammelbegriff für Polizisten wie Sandy gab, dann war es »Trottel«.
    » MAPPA hat angerufen, wegen Decker.«
    »Was ist mit ihm?«
    »Er ist verschwunden.«
    Eine schwarze Krähe flog über die Sonne, ein schwarzer Fleck, ein schlechtes Gefühl in Louises Bauch. Ein reales, körperliches Gefühl, verursacht wahrscheinlich von einem Glas mit Mayonnaise, das Karen Warner gerade hervorgeholt hatte und jetzt mit einem Teelöffel bearbeitete. Die Frau hielt es keine fünf Minuten aus, ohne etwas zu essen. Etwas Ekelhaftes für gewöhnlich.
    »Ein Streifenwagen in Doncaster hat heute Morgen routinemäßig überprüft, ob er da ist, wo er sein soll.«
    »Und er war es nicht?«
    »Die Mutter hat gesagt, dass er am Mittwochabend ausgegangen und nicht mehr zurückgekommen ist.«
    »Er wusste, dass die Presse Wind gekriegt hat«, sagte Louise. »Wahrscheinlich wollte er sich nur ein bisschen entziehen.« Wieder dieses Wort. Was hatte Joanna Hunter gesagt: Ich könnte wegfahren, mich für eine Weile entziehen? Liefen sie beide vor der gleichen Sache davon? Zwei Menschen, die nie voneinander loskommen würden. Joanna Hunter und Andrew Decker würden für immer zusammengehören, ihre Geschichten miteinander verwoben und verquickt.
    »Zumindest hat das Zugunglück für ein, zwei Tage verhindert, dass es in die Presse kommt«, sagte Sandy.
    »Jede Katastrophe hat auch was Gutes, was, Sandy?«, sagte Karen. »Es wird nicht lange dauern, und die Pressehunde nehmen die Fährte wieder auf. Ein Zugunglück macht wie lange Schlagzeilen – drei Tage? Außerdem ist er in England, oder? Er ist nicht unser Problem. MAPPA hat ein Foto gemailt«, fügte sie hinzu und legte es vor Louise auf den Schreibtisch.
    Decker sah vollkommen anders aus als der junge Mann, der einen dreißig Jahre zuvor aus den Zeitungen angestarrt hatte (Louise hatte sein Gespenst gegoogelt). Er war natürlich ein anderer Mensch. Zwischen den zwei Bildern lag ein ganzes verschwendetes Leben.
     
    Auf dem Rückweg von einer Arbeits- und Koordinierungsbesprechung in St. Leonard’s hatte Louise Heißhunger und fuhr auf den Parkplatz von Cameron Toll und kaufte einen riesigen Schokoladenriegel bei Sainsbury’s. Sie aß nie Schokolade, aber sie aß den ganzen Riegel, kaum saß sie wieder im Wagen, und kaum war sie im Revier, erbrach sie den ganzen Riegel in die Toilette. Geschah ihr recht dafür, dass sie versucht hatte, sich in ein diabetisches Koma zu versetzen.
    Als sie aus der Toilette kam, klingelte ihr Handy. »Reggie Chase«, sagte eine Stimme. Der Name kam ihr bekannt vor, aber Louise wusste nicht mehr, wer es war. Das Mädchen sprach so rasend schnell, dass Louise ihr nicht folgen konnte. Das Wesentliche war, dass »irgendetwas mit Dr. Hunter passiert war«.
    »Joanna Hunter?«, sagte Louise. Meine Frau, dachte sie, noch eine. Louises Frauen. Reggie Chase, das kleine Mädchen, das ihr am Dienstag Joanna Hunters Tür geöffnet hatte. »Wie meinst du das, dass ihr was passiert ist?«
     
    Ein kleines Mädchen und ein großer Hund. Dr. Hunters Hund. Er wedelte mit dem Schwanz, als er sie sah, und Louise fühlte sich absurderweise geschmeichelt. Vielleicht könnte ein Hund den Raum zwischen ihr und Patrick füllen, den er mit einem Baby besetzen wollte. Gab es einen Raum zwischen ihnen? War das gut? Oder schlecht?
    Sie traf sich mit dem Mädchen in der Stadt. Sie ließen den Hund auf dem Rücksitz von Louises Wagen, während sie bei Starbucks in der George Street Kaffee tranken. Louise hasste Starbucks. Yankee Dollars. »Jemand muss für die bösen Kapitalisten Geld machen«, sagte sie zu dem Mädchen und kaufte ihr eine Latte und ein Schokomuffin. »An manchen Tagen sind das du und ich. Heute ist so ein Tag.«
    Das Mädchen sagte: »Ach, wir tun vieles, was wir nicht tun sollten.«
    Das Mädchen hatte eine hässliche Beule auf der Stirn, für die sie eine Ausrede fand, aber Louise glaubte, dass sie von jemandem geschlagen worden war. Reggie Chase. Joanna Hunters Kindermädchen, wie Sandra Rivett – nein, nicht Kindermädchen, »Haushaltshilfe«. Mother’s

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