Lebenslust: Wider die Diät-Sadisten, den Gesundheitswahn und den Fitness-Kult (German Edition)
verlässlich ist, bleibt und gibt dem Leben Wärme und Licht. Und Vertrauen ist eine notwendige Voraussetzung für Lebenslust und für Liebe. Manchmal kommen zu mir Ehepaare, die über das Vertrauen reden wollen. Sie hätten darüber noch nie gesprochen. Dann gratuliere ich ihnen und ermutige sie, diesen Zustand nicht zu verändern. Der amerikanische Psychotherapeut Steve de Shazer rät: »Wenn etwas nicht kaputt ist, mach es nicht ganz!« Wer das Vertrauen pflegen will, unterlasse dumme Fragen.
Noch wichtiger als das Vertrauen ist aber die Liebe im Leben jedes Menschen. Und weil sie noch wichtiger als das Vertrauen ist, die Liebe, ist sie noch weniger beweisbar. Will man einen Ehekrach terminlich präzise platzieren, ist daher die Frage unschlagbar: »Warum liebst du mich eigentlich?« Auch hier werden alle denkbaren Antworten verheerende Auswirkungen haben. Nehmen wir an, der Ehemann reagiert hilflos und sagt darauf nichts. Sie kennen vielleicht solche Ehemänner, die auf die Aufforderung ihrer Frau, etwas zu sagen, kein Wort herausbringen. Ein solches Verhalten wird aber in diesem Fall – verständlicherweise – bei der Ehefrau eine Explosion heraufbeschwören: »Zwanzig Jahre sind wir nun verheiratet und du hast auf die einfache Frage, warum du mich eigentlich liebst, nichts zu sagen, gar nichts?! Gut, dass ich diese Frage gestellt habe, denn damit wird deutlich, dass wir uns offensichtlich schon seit Jahren nichts mehr zu sagen haben. Denn du musst zugeben, die Frage geht an die Grundlagen unserer Beziehung. Alles Mögliche hätte man darauf antworten können. Aber du sagst nichts, einfach nichts. Das ist ein Offenbarungseid, so geht es nicht weiter, ich werde Konsequenzen ziehen …« Ich möchte Sie mit dieser Detonation nicht länger belästigen, lieber Leser. Ich weiß auch nicht, ob diese Ehe nicht vielleicht wirklich in der Krise ist. Aber die Reaktion hat mit einer falschen Frage zu tun, nicht mit einer ausbleibenden Antwort.
Denn was hätte er schon antworten sollen, der arme Tropf. Wenn er allen Mut zusammengenommen hätte und vor dem drohenden Ungewitter seiner Ehefrau in eine Antwort geflohen wäre, wenn er in seiner Not vielleicht bekannt hätte: »Ich liebe dich wegen deiner schönen Augen!« – der Wirbelsturm wäre unvermeidlich genauso vernichtend über ihn hereingebrochen: »Aha, nur wegen meiner Augen! Man stelle sich das einmal vor! Zwanzig Jahre sind wir nun verheiratet und auf meine Frage, warum du mich eigentlich liebst, fällt dir nichts anderes ein als meine Augen! Alles tue ich für dich, für alles sorge ich und das Einzige, was dir bei mir auffällt, sind meine Augen. Nichts anderes an mir interessiert dich. Hinter meinen Augen habe ich wohl gar nichts, Gehirn oder so! Wir stehen ganz offensichtlich vor den Trümmern unserer Beziehung. Ich kann dir ja ein Foto von meinen Augen geben, das kannst du dir dann aufstellen und ich kann ja gehen …« Auch hier möchte ich mich aus der Übertragung des Donnerwetters ausblenden. Denn wiederum ist es nicht die Antwort, die das Desaster auslöst, sondern die falsche Frage. Auch Liebe ist so wichtig, dass man sie eben nicht definieren kann. Und wenn man es versucht, dann kann man sie zerstören. Jeder Mensch mit Lebenserfahrung weiß, dass man Liebe auch zerschwätzen kann. Natürlich gibt es kostbare Worte und Gesten der Liebe. Die sind in der Regel nicht irgendwie allgemein, sondern sehr speziell und oft nur für die Liebenden selbst wirklich verständlich. Man kann sie nicht fordern oder geschickt herstellen, sie fallen einem in ganz dichten Momenten zu und sind doch sehr persönlich. Und wer meint, es gebe »Liebestechniken«, mit denen man sie herstellen könne, die Liebe, der unterliegt dem Irrtum, irgendwie sei das ganze Leben eine Baustelle und alles, was man dafür brauche, sei im Baumarkt zu haben.
3. Lustvolle Erotik
Es ist auf tragische Weise schmerzlich, dass genau das, was dem Leben des Menschen Sinn gibt, was ihm vielleicht das Wichtigste überhaupt ist, die Liebe – nicht in seiner Hand liegt. Doch gerade die Unberechenbarkeit der Liebe ist es, die sie so kostbar macht. Liebe ereignet sich nicht im Lexikon, sondern im Leben. Und damit scheint auch unser Projekt »Lebenslust« unberechenbar zu werden. Denn, geben wir es offen zu: Für ein Leben ohne Liebe muss Lebenslust ein Fremdwort bleiben. Spätestens hier aber kommt manch einer wahrscheinlich mit dem Hinweis, man müsse da doch wohl die wahre – geistige –
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