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Lebenslust: Wider die Diät-Sadisten, den Gesundheitswahn und den Fitness-Kult (German Edition)

Lebenslust: Wider die Diät-Sadisten, den Gesundheitswahn und den Fitness-Kult (German Edition)

Titel: Lebenslust: Wider die Diät-Sadisten, den Gesundheitswahn und den Fitness-Kult (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Lütz
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Fadens der Ariadne, nicht nur hineinzufinden und den Minotauros zu töten, sondern entlang des Fadens auch wieder hinauszugelangen. Zwar gibt es auch in den Kliniken veritable »Leitfäden« zur Orientierung im Haus, die sind aber sinnigerweise meistens vergriffen. Und wir sahen schon, dass, wer einmal in die Mühle der Untersuchungen gerät, dem Krankheitsapparat kaum mehr entrinnt: Gesund ist ein Mensch, der nicht ausreichend untersucht wurde. Das Labyrinth gab es auch in mittelalterlichen Kathedralen. Es war am Beginn des Langschiffs als steinernes Bild in den Boden gebannt und führte dem Betrachter wohl die Ungewissheit des menschlichen Lebens, aber auch die Hoffnung auf Erlösung vor Augen.
    Je tiefer man dann in dieses gewaltige unübersichtliche Sakralgebäude des Gesundheitskults hineingeht, desto mehr wächst das Gefühl, dass sich hier etwas Großes zuträgt, das man niemals ganz begreifen wird, dass hier alles Wissen der Menschheit aufgehäuft ist, um alle Krankheiten zu heilen und den Tod zu besiegen. Alles, was hier geschieht, hat seinen geheimen Sinn und seinen Zweck, geschieht mit eherner ritueller Zwangsläufigkeit. Die verschiedenen religiösen Amtsträger schreiten mit wichtiger Miene einher, man weiß nicht genau, woher und wohin, sie tragen weiße Gewänder, die ihre Würde ausdrücken. Der Ton ist gedämpft, nie laut. Ab und zu begegnet man Prozessionen, die an Zimmertüren Station machen. Und auch im Aachener Klinikum gibt es das Gestalt gewordene Geheimnis, jene unausdenkbaren, aber ganz wirklichen Räume, die nicht zugänglich sind. »Zutritt verboten« steht auf einem Schild an diesen Räumen und man weiß, dass man diese Sphären der Hoffnung und Sehnsucht niemals in seinem ganzen Leben wird betreten dürfen. Das ist das Gestalt gewordene Mysterium, das regt die Phantasie an, man vermutet Ungeheuerliches, Herrliches, Erlösendes, ja Allmacht hinter diesen Türen. Alle Aspekte der mittelalterlichen Kathedrale sind hier versammelt, allerdings mit ästhetisch erheblich unbefriedigenderem Ergebnis. Das Aachener Klinikum ähnelt vom Äußerlichen her einer riesigen Fabrik. Und das ist pure Ehrlichkeit. Denn um industrielle, also des Menschen Fleiß zu verdankende Herstellung von Gesundheit geht es hier. Und nicht Erhabenheit, sondern Unübersichtlichkeit ist hier das Mittel zur Erreichung jenes Gefühls »schlechthinniger Abhängigkeit«, das für den protestantischen Religionsphilosophen Friedrich Schleiermacher Religion charakterisierte. Aber dieses religiöse Gefühl ist das eigentliche Placebo der industriellen Medizin. Die calvinische Übermacht der Gnade über alle einzelnen Bemühungen der kleinen Menschen, wie sie in den Seebildern der Holländer zum Ausdruck kommt, wo sich ein gewaltiger Himmel über dem kleinen Schiff auf unruhiger Lebensfahrt spannt, diese mysteriöse, aber auch bergende Überlegenheit der göttlichen Gnade findet ihr Abbild bei der Gesundheitsreligion in dem Gefühl völliger Abhängigkeit von den diagnostischen Offenbarungen und den gläubig angenommenen Therapien der Ärzte.
    c) Warum König Ludwig  XIV . gar nichts sagen musste
    Auch Macht drängt nach baulichem Ausdruck, nach architektonischer Inszenierung. Der Spiegelsaal in Versailles war der Empfangssaal des französischen Sonnenkönigs Ludwig XIV. Unter funktionalen Gesichtspunkten war er dafür viel zu groß. Ludwig pflegte nämlich nicht wieselnde südfranzösische Schulklassen oder gar ganze Schulen zu empfangen, für die der Spiegelsaal bequem Platz geboten hätte. Der König empfing dort in der Regel Einzelpersonen. Wichtige Einzelpersonen allerdings. Botschafter zum Beispiel. Und die entscheidende Botschaft, die Ludwig einem Botschafter, jedem Botschafter, mitgeben wollte, war immer dieselbe: Frankreich ist mächtig und ich bin Frankreich. Und Ludwig wusste, dass eine bloß verbale Botschaft viel weniger wirksam ist als eine erlebte Botschaft. Daher ließ er den Spiegelsaal bauen. Wenn dann der Botschafter gemessenen Schritts, von einem Hofbeamten geleitet, bereits durch unzählige »Vorzimmer« geführt worden war und endlich vor den Spiegelsaal gelangte, war er in der Regel schon etwas erschöpft, aber doch gespannt. Dort hatte er zu warten, je nach Bedeutung kürzer oder länger. Dann die Nachricht: »Seine Majestät erwartet Sie!« Und nun betrat er den Spiegelsaal, über den er schon von seinem Vorgänger so viel gehört hatte. Am Ende dieses herrlichen, gewaltigen, unendlich langen Saales, nur

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