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Lebenslust: Wider die Diät-Sadisten, den Gesundheitswahn und den Fitness-Kult (German Edition)

Lebenslust: Wider die Diät-Sadisten, den Gesundheitswahn und den Fitness-Kult (German Edition)

Titel: Lebenslust: Wider die Diät-Sadisten, den Gesundheitswahn und den Fitness-Kult (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Lütz
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seine Rettung möglich zu machen.« Das ist gesundheitsreligiös absolut political correct: ein leidender Mensch, eine Erlösung verheißende Methode und der Teufel, der das Heil verhindern will. Die »Ethik des Heilens« ist der Fundamentalismus der Gesundheitsreligion. Dass für die von dem Staatsmann geforderte Methode mal eben ein Mensch getötet werden muss, allerdings ein Mensch im Embryonalstadium, ist nicht bloß in Kauf zu nehmen, sondern – beim gesundheitsfrommen Pathos der Forderung – heilige Pflicht.
    Und damit wären wir bei einer etwas unsympathischen Eigenschaft der Gesundheitsreligion. Ihr Idealbild ist der gesunde Mensch. Da Gesundheit als höchstes Gut gilt, sind natürlich restlos alle Methoden zur Herstellung der Gesundheit bei leidenden Menschen erlaubt, ja geboten. Was aber nun mit Menschen tun, die sich ganz offensichtlich den Segnungen der Gesundheitsreligion entziehen, indem sie definitiv und unabänderbar keine Aussicht haben, den idealen Zustand zu erreichen? Was ist mit Schwerbehinderten, was mit Demenzkranken, was mit behinderten Kindern im Mutterleib oder in der Retorte gezeugten Kindern im Embryonalstadium, die im Kühlschrank ihr Leben fristen? Wenn einmal bei der Umwertung aller Werte die Gesundheit ganz nach oben gerutscht ist, dann sind das logischerweise Menschen minderen Werts. Gewiss, man muss behutsam mit diesem heiklen Thema umgehen, die Altreligionen sind ausnahmsweise auf diesem Gebiet noch recht störrisch und reagieren auf die vereinnahmende Judotaktik unelegant. Die Verfassungen der westlichen Staaten sind zu allem Überfluss großteils noch von der jüdisch-christlichen Vorstellung der Gottebenbildlichkeit jedes Menschen geprägt. Es gibt also ernst zu nehmende Hindernisse. Die direkte Methode ist bereits nachweislich gescheitert. Der australische Bioethiker Peter Singer hat auf hohem intellektuellem Niveau in aller Offenheit den oben genannten »Menschen minderen Werts« diesen Wert auch öffentlich abgesprochen und deren Leben – unter strenger Abwägung, unter Wahrung der Pietät, nur in bestimmten Fällen – zur Disposition gestellt. Diese direkte Form der Ehrlichkeit verträgt die gesundheitsreligiöse Gesellschaft nun doch noch nicht. Es gab Proteste, Redeverbote sogar. Das hatte für Singer den Vorteil, dass er fürderhin als Märtyrer der Gedankenfreiheit und in gewisser Weise sogar der Gesundheitsreligion gelten konnte und als solcher den Lehrauftrag einer wichtigen amerikanischen Universität erhielt. Aber die Öffentlichkeit wurde von alldem eher ein wenig verschreckt.
    Daher sind inzwischen verdeckte Methoden in Mode. Am aussichtsreichsten ist zurzeit der Versuch, einfach zu behaupten, gewisse definitiv ungesunde beziehungsweise noch ziemlich kleine Menschen seien gar keine Menschen. Wissenschaftlich ist das zwar Unsinn, aber manche Wissenschaftler sind in Kenntnis der allfälligen Schwierigkeiten bereit, wenigstens nicht zu widersprechen, wenn solche Thesen aufgestellt werden. Keine Idee ist zu absurd, um nicht in den Dienst der »Ethik des Heilens« gestellt zu werden. Ein namhafter Politiker brachte die Privatdefinition unters Volk, ein Mensch sei nur jemand, der eine Mutter habe, in der er aufwachse. Damit waren alle in der Retorte erzeugten und aufgewachsenen Menschen nach Meinung dieses Politikers auf einen Schlag keine Menschen mehr, sondern – unter strenger Abwägung, unter Wahrung der Pietät, nur in bestimmten Fällen – für die Therapie von was auch immer nutzbar. Es gab nur zwei Probleme: Mit dieser abenteuerlichen Definition wäre man schon im Biologieunterricht gescheitert und: Was macht dieser Politiker, wenn er in einigen Jahren einem Menschen begegnet, der in der Retorte gezeugt und in einem künstlichen Uterus aufgewachsen ist? Das wäre ja dann kein Mensch, obwohl man sich ganz nett mit ihm unterhalten kann. Die genannte Privatdefinition ist also keine sehr zukunftssichere Methode.
    Dann gab es eine andere Idee: Juristen erklären zu Recht, dass bis zur Einnistung im Mutterleib eine Tötung des kleinen Menschen nicht sicher bewiesen werden kann. Daher sind strafrechtliche Maßnahmen bis zu diesem Zeitpunkt nicht möglich, denn bestrafen kann man jemanden nur, wenn man ihm eine Tat sicher nachweisen kann. Daraus machte man dann für den Volksgebrauch: Bis zur Einnistung in die Gebärmutter ist der Mensch noch kein Mensch. Dass das ebenfalls wissenschaftlicher Unsinn ist, weiß jeder Kenner, aber eben nützlicher Unsinn,

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