Lebenslust: Wider die Diät-Sadisten, den Gesundheitswahn und den Fitness-Kult (German Edition)
im Moment gesund sind, blieb gefährlich unbestimmt. Aber das bleibt unter uns. Ohnehin ist uns inzwischen auf unseren Wanderungen durchs Aachener Klinikum und zuletzt durch die finanziellen und ethischen Katastrophen der Entwicklung des Gesundheitswesens die Lebenslust etwas abhanden gekommen. Wenn man sich immer konkreter mit dem Gedanken befassen muss, wie man sich und seine Lieben vor den rabiaten Auswirkungen der Gesundheitsreligion schützen kann, ist Schluss mit lustig.
Der Wind weht rau. Gegen die »Ethik des Heilens« haben ethische Gründe kaum noch eine Chance. Als bei der deutschen Debatte über das Transplantationsgesetz Politiker grundsätzliche und differenzierte Bedenken anmeldeten, hirntoten Menschen das Menschsein abzusprechen, begegneten ihnen einige renommierte Transplantationschirurgen mit der kurzen Bemerkung, wenn das so nicht ins Gesetz komme, würden sie ihre Skalpelle niederlegen. Die Bundestagsabgeordneten hatten dann keine wirklichen Fragen mehr. Immerhin gereicht es den christlichen Kirchen zur Ehre, in jüngster Zeit zunehmend die nüchternen Einsichten der modernen Wissenschaft gegen die religiösen Schwärmereien der Gesundheitsreligion in Schutz genommen zu haben. Insbesondere katholische Bischöfe haben dezidiert gegen eine totalitäre Gesundheitsideologie Stellung bezogen. Die Antwort darauf war brillant: Die katholische Kirche, teilte man respektvoll mit, sei durchaus in sich konsequent mit ihren Bedenken. Ende der Durchsage. Im Klartext hieß das: Die katholische Kirche denkt nicht in den Plausibilitäten der Gesundheitsreligion, daher sind ihre Hinweise geradezu notwendigerweise nicht systemkonform und folgerichtig nicht zu verwerten. Das ist souveräne Toleranz einer selbstgewissen und unangefochtenen Staatsreligion gegenüber abweichenden exotischen religiösen Traditionen.
4. Die Abschaffung des Menschen zugunsten der Gesundheit – der Bilderkult
Inzwischen strebt die Gesundheitsreligion ihrem absoluten Triumph zu, nämlich der Abschaffung des Menschen zugunsten der Gesundheit. Die Rede ist von der Hirntransplantation. Auf den ersten Blick geht es einfach um das Übliche. Lebende Hirnsubstanz von abgetriebenen Kindern wird verwendet, um zum Beispiel Parkinson-Patienten bei ihrer schweren Erkrankung zu helfen. Die Erfolge sind zwar bisher spärlich, zum Teil gab es schon katastrophale Nebenwirkungen, aber der Gedanke erscheint ausgesprochen nahe liegend: Einige Gehirnzellen von Parkinson-Kranken, die wichtige Stoffe produzieren, sind definitiv ausgefallen. Embryonale Hirnzellen können diese Substanzen aber bereitstellen, also werden sie in das kranke Gehirn verbracht. Dass das nur geht, weil andere Menschen, Embryonen, getötet werden, ist mit den üblichen Strategien der »Ethik des Heilens« (s.o.) vergessen zu machen.
Aber ein anderes, ganz unheimliches Problem wird sicherheitshalber gar nicht recht diskutiert. Wir wissen heute, dass alle Zellen des Gehirns vielfach verschaltet sind und es daher keine streng abgegrenzte Parkinson-Region gibt. Auch die Zellen dieses anderen Menschen werden so mitverschaltet. Nicht die Frage: »Was passiert hier?« – Heilung eines Parkinson-Kranken – ist unheimlich, sondern die Frage: »Wer ist das nach der Operation?« Man könnte sich für den Personalausweis pragmatisch darauf verständigen, dass der Name dessen gewählt wird, der am meisten Hirnsubstanz beisteuert. Das ist jedenfalls bei der Parkinson-Behandlung der Parkinson-Kranke. Das Problem ist damit aber nicht gelöst, denn für die Identität ist die Quantität nicht von Belang. Im Gehirn existiert ein Zentrum, das für das Lächeln zuständig ist. Es gibt Krankheiten, bei denen das Lächeln verloren geht. Theoretisch wäre das eines Tages durch Hirntransplantation zu beheben. Großartig! Oder vielleicht doch nicht? Hier ist nicht bloß der Mensch, sondern die Identität des Menschen verändert. Der Hirnforscher Detlev B. Linke hat es auf die Frage gebracht: »Wer lächelt dann hier eigentlich?«
Lächeln Sie eigentlich im Moment, lieber Leser? In der Tat, wir sind gerade bei den Aspekten der Gesundheitsreligion unter dem Stichwort: Schluss mit lustig! Die ganz offensichtlich unaufhaltsame Entwicklung der Hirntransplantation zeigt es: Die Gesundheitsreligion frisst ihre Kinder. Der zu heilende Mensch wird weggeheilt. Nach der Operation gibt es ihn nicht mehr. Da ist nun ein anderer, ein gesunder.
Dennoch geschehen solche Operationen bereits – allerdings noch mit
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