Lebenslust: Wider die Diät-Sadisten, den Gesundheitswahn und den Fitness-Kult (German Edition)
Konkurrenzdruck. Bei aller religiösen Wertschätzung der Halbgötter, es gibt deren inzwischen ziemlich viele. Zwar expandiert der Markt und das Angebot schafft auch Nachfrage, doch sind die Ärzte in der misslichen Lage, dass man in vielen Ländern auf die Idee gekommen ist, ihnen die Verantwortung für die finanzielle Sanierung des auf diese Weise ganz sicher nicht sanierbaren Gesundheitswesens zuzuschanzen. So entsteht bei der höheren Bevölkerungsdichte im ärztlichen Wildgehege und bei gleich bleibendem oder sogar sinkendem Unterhalt eine ungemütliche Atmosphäre. Das traditionelle Prinzip respektvoller ärztlicher Kollegialität gerät immer mehr ins Wanken. Jene noch bisweilen nostalgisch beschworenen kultivierten Idyllen weichen merkbar den rigorosen Üblichkeiten des naturwüchsigen Kampfs ums Überleben. Da kann im kollegialen Gerangel der Widerspruch gegen die eigene Vergöttlichung manchmal auch aus Marktgründen etwas weniger überzeugend ausfallen.
2. Über ärztliche Schlafproduktion
Den Patienten bleiben die Menschlichkeiten im Götterhimmel nicht verborgen. Instinktiv nutzen sie diese Lage. »Sie wissen ja, Herr Doktor, ich schlafe immer so schlecht. Ich hatte Sie mal um ein Schlafmittel gebeten. Das hatte aber nicht den durchschlagenden Erfolg, den ich mir erhofft hatte. Schlaf ist für mich wahnsinnig wichtig. Und da hat nun mein Nachbar von seinem Arzt ein Schlafmittel verschrieben bekommen, mit dem er sofort einschläft.« Diese sorgfältig gewählten Bemerkungen sind eine höflich, respektvoll und ungemein freundlich formulierte Erpressung. Sie besagen im Klartext: Wenn Sie mir dieses Mittel nicht verschreiben, dann gehe ich eben zu Ihrem Kollegen. Früher war die Lage klar: Dann soll er doch zum Kollegen gehen! Ich verschreibe ihm kein Mittel mit Abhängigkeitspotenzial! Heute ist die Situation verwickelter. Zum einen ist es eine erfreuliche Emanzipation der Patienten, auch Alternativen zu suchen. Ärzte müssen sich für ihr Handeln mehr rechtfertigen als früher. Das ist gut so. Aber gerade das genannte Beispiel zeigt zum anderen ein gravierendes Problem: Der Patient tritt an den Arzt heran mit der Grundauffassung der Gesundheitsreligion, Gesundheit sei etwas Herstellbares und gesunder Schlaf daher auch.
Gerade gesunder Schlaf hat aber eine besondere Eigenart: Er entzieht sich der Herstellbarkeit. Im Gegenteil, schon die wirksame Idee, dass es wichtig sein könnte, ihn herzustellen, reicht aus – um ihn zu zerstören. Es ist eine besonders hinterlistige Art, jemandem Böses anzutun, indem man ihm suggeriert, Schlaf sei wichtig. Was nun geschieht, ist absehbar: Dieser Mensch legt sich abends ins Bett mit dem Gedanken: »Schlaf ist wichtig.« Naturgemäß ist es ihm nun ein besonderes Anliegen zu beobachten, ob und wann er einschläft. Damit versucht er, etwas zu tun, was nicht möglich ist: Er versucht, mit aufmerksamem Bewusstsein zu beobachten, wie er das Bewusstsein verliert. Nach etwa einer halben Stunde stellt er fest, dass er immer noch nicht eingeschlafen ist. Das beunruhigt ihn, denn »Schlaf ist wichtig«, der Blutdruck steigt, der Puls steigt, jetzt kann er erst recht nicht einschlafen. Die Nacht wird grausam. Denn das Nichtschlafenkönnen passiert nicht einfach, es geschieht vielmehr mit dem ständigen, quälenden Kommentar: »Schlaf ist wichtig – und ich kann nicht schlafen.« Man hat dagegen die Methode der so genannten paradoxen Intervention angewandt. »Bitte sorgen Sie dafür, dass Sie nach dieser schlaflosen Nacht in der nächsten Nacht nicht schlafen. Legen Sie sich einfach aufs Bett. Dieses Ruhen reicht völlig aus, damit sich der Körper regeneriert. Aber, wie gesagt, schlafen Sie nicht ein, damit der natürliche Schlafrhythmus wiederhergestellt werden kann.« Nicht selten schläft der Patient dann tief ein. Bewusst schlafen zu wollen, funktioniert nicht, bewusst wach bleiben – müde, in einem dunklen Zimmer mit nichts, das einen ablenkt – funktioniert auch nicht sehr gut. Und die ultimative Forderung, Schlaf »immer« chemisch herzustellen, ist der sicherste Weg in die Medikamentenabhängigkeit.
Was hier am Beispiel des Schlafs durchgespielt wurde, gilt auch für andere spontan funktionierende Erfreulichkeiten einer lebenslustigen Existenz. Will man sie mit aller Gewalt herstellen, zerstört man sie. Der große österreichisch-amerikanische Psychotherapeut und Kommunikationsforscher Paul Watzlawick nennt das die »Sei-spontan-Paradoxie«. Das sind die
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