Lebenslust: Wider die Diät-Sadisten, den Gesundheitswahn und den Fitness-Kult (German Edition)
Hülle, ein Gefängnis der Seele. Und die Seele, das sei das Eigentliche. Um das Seelenheil solle man sich kümmern, nicht um die Gesundheit. Seelsorge statt Arztbesuch! Und für Seelsorge und Seelenheil, dafür sei man Experte, man sei ja Christ.
I. Das Christentum, die Gesundheit und die Lust
An diesem Punkt, lieber Leser, muss ich Sie auf einen etwas abrupten Perspektivwechsel vorbereiten. Also, bitte schnallen Sie sich an, ziehen Sie die Sicherheitsgurte fest, stellen Sie das Rauchen ein und richten Sie Ihren Sitz senkrecht. Es geht um einen ziemlichen Salto mortale. Was Sie gerade als christliche Sonntagsrede gelesen haben, ist nämlich kompletter Unsinn. Das hat mit dem Christentum nichts zu tun, vielmehr handelt es sich um reinen körperfeindlichen Neuplatonismus. Aus christlicher Sicht ist Gesundheit nämlich wichtig. Zugegeben, ausgerechnet dem Christentum hätte man vielleicht vieles zugetraut, nicht aber eine Rehabilitation der körperlichen Gesundheit. Dennoch kann gar kein Zweifel bestehen, das Christentum besteht auf Gesundheit. Warum das so ist und warum diese christliche Sichtweise sogar außerordentlich spannende Lösungen der drängenden derzeitigen Gesundheitsproblematik bereithält, das soll jetzt erörtert werden.
Dabei wird auch die Lebenslust nicht zu kurz kommen, die bei der Gesundheitsreligion am Ende nur noch bei Knäckebrot und Wasser in den Verliesen schmachtete. Die Altreligionen sind da generell erheblich lebensnäher: Die Juden, die älteren Brüder der Christen, verehren in ihrer Heiligen Schrift, dem Alten Testament, Texte von saftiger bis feinsinniger Erotik, und Goethes sehnsuchtsvolle Ahnungen des Orients im »West-östlichen Divan« sind deutliche Hinweise auf die Fruchtbarkeit auch der Altreligion Islam für so etwas wie Lebenslust. Bezeichnenderweise tauchte die Lebenslust bisher übrigens gerade dann auf, wenn von katholischen Wallfahrten die Rede war, von katholischen Beiträgen zu einer ausgefeilten und genussvollen Esskultur, und ausgerechnet bei der Sexualität, dem Inbegriff von Lebenslust, kam die katholische Variante erstaunlich flott daher. Wir werden also vor allem der katholischen Fährte folgen. Das scheint deswegen besonders aussichtsreich zu sein, weil über den Katholizismus so viele Klischees bestehen, dass er eines der geheimsten religiösen Bekenntnisse der westlichen Welt darstellt. Vielleicht sind aus dieser Ecke daher auch die nützlichsten Überraschungen zu erwarten. Sicher können auch andere christliche Bekenntnisse das Ihre beisteuern. Allerdings muss man zugeben, dass es für kein religiöses Bekenntnis sonderlich schwierig ist, bezüglich Lebenslust einen guten Eindruck zu machen, wenn man es neben die Gesundheitsreligion stellt, die der Lebenslust geradezu mit hartnäckiger Akribie in einer lebenslangen Fasten- und Bußzeit den Garaus macht. Das Schöne an der katholischen Fastenzeit und am muslimischen Ramadan ist – dass das zu Ende geht.
1. Der gute Rat des Sherlock Holmes
Viele Leute haben heute nicht mehr viel mit dem Christentum zu schaffen, nicht weil man irgendwelche Argumente dagegen hat, sondern weil es so hoffnungslos außerhalb des gesundheitsreligiösen Trends liegt. Die heilige Messe ist sogar bei dem ganz modernen Pfarrer, der »auf die Menschen zugeht«, aber eben doch nicht gerade der Renner ist, eine unter sportlichen Gesichtspunkten äußerst dürftige Veranstaltung. Was kann man nicht alles in derselben Zeit an gesundheitsreligiösen Riten vollziehen. Für das ewige Leben und die ewige Glückseligkeit plagt man sich ohnehin in Medizin und Psychotherapie ab, da ist das Christentum ganz aus dem Blick geraten. Für einige Riten der Lebenswenden braucht man ihn noch, den Herrn Pfarrer. Das anrührende, aber immer auch ein wenig unheimliche Gefühl, wenn ein neuer Mensch zur Welt kommt, dafür liefert der Herr Pfarrer den Taufritus. Mannbarkeits- und Fraubarkeitsriten werden bei der ersten heiligen Kommunion ausgelebt, die insofern inzwischen mehr der Jugendweihe des Ostens angepasst ist als umgekehrt. Man wünscht einen Ritus bei der Eheschließung, da ein solches lebenslanges Jawort auch ein bisschen unheimlich ist. Und natürlich bei der Beerdigung, da hat der Herr Pfarrer selbstverständlich seinen Auftritt.
Das Leben und vor allem Lebenslust, so etwas findet nach allgemeiner Überzeugung anderswo statt. Aber wo? Am ehesten wird man da wohl spontan den Bereich nennen, den wir schon ausführlich besichtigt haben: den
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