Lebenslust: Wider die Diät-Sadisten, den Gesundheitswahn und den Fitness-Kult (German Edition)
können, das war ergreifend neu. Man nannte das Offenbarung.
Der christliche Glaube besagt also, dass Gott die Menschen so sehr aufwertet, wie das keine andere Religion behauptet. Die Menschen sind durch die Menschwerdung Gottes Brüder und Schwestern Gottes. Eine ziemlich atemberaubende Vorstellung. Aber christlich. Eine Nebenwirkung dieses Glaubens ist, dass mit einer solchen Stellung des Menschen im Kosmos auch die Angst vor allen anderen Mächten und Gewalten grundsätzlich gebrochen ist. »Mitarbeiter Gottes« nennt der größte theologische Lehrer des Mittelalters, Thomas von Aquin, den Menschen. Mutig erforscht man die Natur und nutzt sie und tapfer erstreitet man die Menschenrechte gegen wen auch immer. Die Kirche war keineswegs stets an der Spitze dieser Entwicklung. Sie hat vieles gefördert, manches auch eher gebremst und gehemmt. Jedenfalls ist auf dem Boden dieser den Menschen hoch erhebenden Religion die moderne Entwicklung von Naturwissenschaft und Technik entstanden und in keinem anderen Kultur- und Religionsbereich. Und auf der christlichen Grundlage dieses geradezu berstenden menschlichen Selbstbewusstseins entstand sogar der Gedanke, dass der Mensch als »maître et possesseur de la nature« (Meister und Besitzer der Natur, Descartes) Gott überhaupt nicht mehr brauche. Der humanistische Atheismus ist im Grunde wild gewordenes Christentum.
3. Jesus und betrunkene Deutsche
Das Christentum ist keine Theorie. Das Christentum ist eine bestimmte Form der zupackenden Wahrnehmung der Wirklichkeit. Gott wird nicht theoretisch Mensch. Man kann nicht theoretisch Mensch werden. Nach christlichem Glauben wird Gott leibhaftig Mensch. Er engagiert sich für die Menschen nicht theoretisch, sondern praktisch bis zur für Menschen denkbar letzten Konsequenz, zum leiblichen Tod, und er wirft den menschlichen Leib auch dann nicht auf den Müll. Die Auferstehung Christi, die die glühende Sehnsucht der Menschen aller Zeiten nach ewigem Leben bestätigt, ist eine leibliche Auferstehung zu ewigem Leben. Es ist ein verklärter Leib, aber ein Leib. Erlösung ist für Christen keine tolle Idee, sondern ein leibhaftiges Ereignis. Sie trifft den Menschen mit Leib und Seele. Es gibt christlich keine Erlösung des Menschen aus dem Leib, sondern nur eine Erlösung mit dem Leib. Daher glauben die Christen auch nicht bloß an eine Unsterblichkeit der Seele. Daran glauben andere Religionen auch. Christen glauben an die »Auferstehung des Fleisches«, wie sie in bekannter Drastik formulierten. Damit ist dieser Leib als verklärter Leib für die Ewigkeit bestimmt und kann nicht bloß als Anhängsel des Menschen behandelt werden. Der Leib ist für Christen wichtig, existenziell wichtig.
Lust geht nicht ohne Leib, Gesundheit auch nicht. Vielleicht ist sogar die Gesundheits- und Körperbesessenheit unserer Zeit ohne die Religion der Auferstehung des Fleisches nicht zu erklären. Auch die Gesundheitsreligion – nichts als durchgeknalltes Christentum? Dann wäre aber gerade das Christentum besonders geeignet, mäßigend auf die Auswüchse der Gesundheitsreligion einzuwirken. Der Gedanke liegt jedenfalls nahe, dass eine Religion, der es 2000 Jahre lang verboten war, den Leib zu verachten, auch zur Gesundheit und natürlich zur Lust über interessante Einsichten verfügt. Das ist nicht bloß eine leichtfertige Vermutung, dafür hatten wir bereits einige Hinweise.
Es ging schon früh los mit der Leibfreundlichkeit der Christen. Der Apostel Paulus sakralisiert den Leib geradezu, bezeichnet ihn als »Tempel des Heiligen Geistes« und lässt sich sogar zu der Aufforderung hinreißen: »Verherrlicht also Gott in eurem Leib!« Widerlich fleischlich fand so etwas die intellektuelle Schickeria Athens. Man verachtete den Körper. Doch ohne Körper keine Lust. Das jenseitige Schattenreich der Griechen kannte keine Körper, nur eben Schatten, und Lust war folglich dort völlig unbekannt. Die Stimmung war verheerend, lustloser als in einem englischen Pub nach der Sperrstunde. Dagegen waren Jesu Bilder vom Paradies, das er »Reich Gottes« nennt, von ganz anderem Kaliber. Weinberge, Weinreben, Wein und Gastmäler, wo man hinschaut. Und so ging es auch in den frühen christlichen Gemeinden ziemlich lustvoll zu. Schließlich hatte man eine frohe Botschaft zu verkünden, die leibhaftige Erlösung durch Jesus Christus. Gleich nach der heiligen Messe setzte man sich zusammen und tafelte, was das Zeug hielt, alkoholische Getränke inklusive. Der
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