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Lebenslust: Wider die Diät-Sadisten, den Gesundheitswahn und den Fitness-Kult (German Edition)

Lebenslust: Wider die Diät-Sadisten, den Gesundheitswahn und den Fitness-Kult (German Edition)

Titel: Lebenslust: Wider die Diät-Sadisten, den Gesundheitswahn und den Fitness-Kult (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Lütz
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der Sterblichen unendlich überragte, so sah das später jedenfalls die mythologiekritische platonische Philosophie. Und dann kam da eine kleine, offensichtlich jüdische Sekte daher und behauptete allen Ernstes, Gott, der ewige Gott, sei Mensch geworden. Nicht zur eigenen Unterhaltung als Mensch verkleidet wie Zeus, der alte Schwerenöter, sondern wirklich Mensch ganz und gar. Das war unerhört, das war der reinste Skandal. Wenn man es ganz ernst nahm, war das nach allem, was man bisher über Gott dachte und sagte, sogar das Schlimmste, was man sich vorstellen konnte: Das war Gotteslästerung! Und man nahm das ganz ernst.
    Die frühen Christen wurden nicht wegen der Religion und ihrem Glauben an Gott den Löwen zum Fraß vorgeworfen. Der Vorwurf lautete vielmehr: Beleidigung der Religion und Gotteslästerung. Man kann sich das gar nicht konkret genug vorstellen. Der heutige Papst ist Repräsentant einer Gemeinschaft, die groß geworden ist unter dem Ruf der Religionsbeleidigung und Blasphemie. Zugegeben, man merkt das der Kirche heute nicht mehr an, aber mit einem solchen miserablen Image betrat sie die Bühne der Weltgeschichte. Und fast starrsinnig beharrte sie auf diesem ihrem Glauben. Als einige vorschlugen, sich doch ein bisschen dem herrschenden schicken und hochvergeistigten neuplatonischen Zeitgeist zu öffnen und einfach zu glauben, dass der Sohn Gottes bei der Taufe Jesu im Jordan in den menschlichen Körper hineingefahren sei, den er dann wie eine Bekleidung getragen und schließlich am Kreuz schnell wieder verlassen habe, wurden sie aus der Kirche ausgeschlossen.
    Die Formulierungen des frühen Christentums machten es noch schlimmer, sie waren von unüberbietbarer Drastik. »Fleisch geworden« sei Gott, so sagte man. Das war eine Provokation. Für einen neuplatonischen Philosophen war das schlicht ekelerregend. Da war nicht bloß eine Grenze verwischt, da wurden Gott und Mensch geradezu identifiziert. Und in der Tat, das ist der Kern des christlichen Glaubens. Jesus Christus ist vollständig und ohne jede Abstriche Mensch und zugleich ist er ebenso vollständig und ohne jede Abstriche Gott selbst. Das hatte revolutionäre Folgen für die Sicht Gottes und des Menschen. Die christliche Theologie hat mutig diesen schwindelerregenden Weg durch unwegsames Gebiet beschritten. Das Ergebnis war die so genannte Idiomenkommunikation: Alle göttlichen Attribute kann man auch dem Menschen Jesus zuschreiben und alle menschlichen Attribute auch dem Sohn Gottes. Unglaublich!
    Einige letzte Versuche der Abmilderung des Unsäglichen scheiterten ebenfalls. Man war auf die Idee gekommen, der Sohn Gottes sei gar nicht so richtig Gott, er sei sozusagen Gott zweiter Klasse oder vielleicht noch nicht mal das, sondern nur ein außerordentlich vorbildlicher, ja sogar einzigartig, unübertreffbar vorbildlicher – Mensch. Die gerade frisch zu Christen gewordenen römischen Kaiser fanden das einen großartigen Kompromiss bei den heftigen innerchristlichen Streitigkeiten. Damit war doch alles halb so schlimm und übrigens auch besser anschlussfähig, wie man heute sagt, an die gängigen Auffassungen, die alles Körperliche von Gott fern halten wollten. Das konnte man einfach viel besser rüberbringen. Antwort der Kirche: Exkommunikation. Wer das behaupte, sei kein Christ. Punktum. Gott Vater und Gott Sohn seien wesenseins. Christus sei wahrer Gott.
    Also doch Idiomenkommunikation. Das bedeutete, man konnte einfach sagen, Gott sei von einer Frau geboren worden. Abenteuerlich, in der Tat, aber christlich. Gottesgebärerin wurde daher Maria genannt. In katholischen Ohren nichts Besonderes, sogar in ehemals katholischen Ohren nicht sehr erstaunlich, aber im Grunde außerordentlich schwer verständlich. Man konnte auch sagen, Gott hat gegessen und getrunken, mit allen Folgen, die das natürlicherweise hat. Man konnte sogar formulieren, Gott sei am Kreuz gestorben. Ein protestantisches Kirchenlied, auf das sich Hegel ausführlich bezieht, lautet: »Oh große Not, Gott selbst liegt tot.« Umgekehrt darf man christlich korrekt formulieren, dass Gott vor 2000 Jahren in Palästina als Mensch gelebt hat. Und auch heute begegnet man nach christlichem Glauben Gott nicht bloß geistig, sondern ebenfalls leibhaftig im Nächsten. Man begegnet Gott in Menschen. In jedem Menschen Jesus Christus, also Gott selbst, sehen zu können, in der tief berührenden Begegnung mit Menschen, vor allem in der Liebe, christliche Gotteserfahrung machen zu

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