Lebenslust: Wider die Diät-Sadisten, den Gesundheitswahn und den Fitness-Kult (German Edition)
Wellness-, Fitness-, Schönheits- und Sexbetrieb; das zweidimensionale Leben auf den bunten Seiten der Regenbogenpresse, wo sich die Schönen und die Reichen tummeln. Dreidimensional sieht das freilich, wie wir feststellen mussten, alles ziemlich öde aus. Was da an Leben im öffentlichen Zoo ausgestellt wird, von Salonlöwe bis Papiertiger, von Sexhäschen bis Partymäuschen, ist im Grunde nicht weiter der Rede wert. Es sind angestrengte und anstrengende Kunstprodukte, deren dokumentierter Lebensfilm ein von immer runzligerer Haut umgebenes, mühsames Lächeln ist. Gewiss, auch die Löwen im Zoo erhalten weit mehr zu fressen als der durchschnittliche Zoobesucher. Doch, Hand aufs Herz, lieber Leser, tauschen möchte man dennoch nicht.
Wenn also Lebenslust ausgerechnet da, wo sie alle erwarten, nicht zu finden ist, dann wäre der Gedanke nicht ganz so absurd, sie vielleicht gerade da zu suchen, wo sie eigentlich von niemandem vermutet wird. Es ist das klassische Schatzsucheprinzip, das auch in der Archäologie wichtig ist. Wo alle suchen – ist wahrscheinlich nichts mehr. Wenn da überhaupt je etwas war. Wenn da nämlich noch etwas wäre, würde keiner mehr suchen. Aber alle suchen. Sie suchen allerdings so ziemlich ohne Sinn und Verstand. Je weiter weg, desto besser, möglichst fernstöstlich. Dabei kennen sie offensichtlich nicht die Sherlock-Holmes-Erfindung des optimalen Schatzverstecks. Das ultimative, sicherste und intelligenteste Versteck ist – öffentlich mitten im Raum. Da sucht keiner das Kostbarste und Außergewöhnlichste. Auch die vielleicht sehr ansprechenden Möbel, die man zu Hause besitzt, nimmt man ja nach Jahrzehnten nicht mehr wahr. Sie sind einfach da. Erst wenn ein Stück fehlt, merkt man, dass dieses Stück zur Heimat gehörte, die man selbstverständlich hatte und in die man immer zurückkehren konnte. Das Mobiliar der westlichen Welt ist das Christentum. Selbst wenn man das heimatliche Haus längst verlassen hat, wenn man sich distanziert von allem Christlichen, zum Atheismus bekennt oder seine starke emotionale Bindung noch durch heftige Aggressionen gegen das Christentum öffentlich macht – es irritiert, wenn ein Möbelstück fehlt. »Wir hören’s nicht, wenn Gottes Weise summt, wir hören’s erst, wenn sie verstummt«, dichtete der Arzt Hans Carossa. Kirchen als Discos, irgendwie irritierend, »mein Mann stirbt am Mittwoch und wird am Samstag begraben«, gewöhnungsbedürftig, behinderte Kinder noch kurz vor Eintritt in den Geburtskanal legal totspritzen, befremdlich. Es gibt noch viel mehr gutes Christentum aus dem Bauch, als manche kirchlichen Jammerprediger wahrhaben wollen.
Es geht also nun in gewisser Weise um eine Entdeckung des Christentums nicht nur aus dem Bauch, sondern auch für den Bauch. Es geht um die Frage, inwieweit das Christentum vielleicht über irgendwelche Schätze und außergewöhnlichen Kostbarkeiten verfügt, die für so etwas wie Lebenslust auszubeuten sind. Und es geht um eine Klärung der erstaunlichen Behauptung, das Christentum sei ein Anwalt körperlicher Gesundheit. Solch eine Erklärung kann freilich nicht nur aus dem Bauch kommen, wie so manche plumpen antichristlichen Blähungen, sondern sie fordert auch den Kopf oder, um Missverständnisse zu vermeiden, den Verstand.
2. Eine Religion lästert Gott
Das Christentum glaubt an die Menschwerdung Gottes. Das dürfte bekannt sein. Allerdings so bekannt wie das genannte Möbelstück. Bei genauerer Nachfrage kann man zumeist partout nicht sagen, wie es im Detail aussieht. So oft auch hier. Was da so vertraut klingt, ist nämlich für eine anständige Religion ziemlich ungeheuerlich. Die Grenzen werden verwischt, die das religiöse Weltbild übersichtlich halten. Ganz oben Gott, ganz unten die Menschen, dazwischen höchstens Gebet, Ende. Sogar die Griechen, bei denen die Götter verteufelt menschliche Züge trugen, mit dem ewigen Fremdgänger Zeus und seinem unliebenswürdigen Eheweib Hera, gingen davon aus, dass die Götter gerade dann auf dem Olymp anwesend waren, wenn der Gipfel in Wolken lag. Zwischen Göttern und Menschen nichts als Nebel. Und wenn Zeus, der Vater der Götter und Menschen, seinen Schabernack mit den Menschenkindern trieb, dann verkleidete er sich, selten als Mensch, meist als symbolträchtiges Tier. Aber das waren alles bloß Verkleidungen, ihn selbst sah man nie. Wie sollte man auch. Denn Gott, das war eine geistige Größe, die alle körperlichen Niederungen und Nichtigkeiten
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