Lebenslust: Wider die Diät-Sadisten, den Gesundheitswahn und den Fitness-Kult (German Edition)
Apostel Paulus hatte gegen so etwas gar nichts einzuwenden. Nur als man vor lauter Ungeduld das üppige Tafeln vor die heilige Messe verlegte, so dass die Liturgie durch Betrunkene gestört wurde, mahnte er, doch die Würde der Feier zu wahren.
Schon Jesus war dem damaligen Establishment unangenehm aufgefallen, weil er, wie es abschätzig hieß, mit Zöllnern und Sündern zu Tische lag. Das war immerhin das leichtlebige und gewissenlose Gesocks seiner Zeit. Als der berühmte Maler Paolo Veronese Ende des 16. Jahrhunderts ein riesiges und farbenprächtiges »Gastmahl des Levi« schuf, das Jesus inmitten eines üppigen veritablen Gelages zeigte, rief man die Inquisition auf den Plan, da auf diesem Gemälde »betrunkene Deutsche« dargestellt seien. Deutsche hatten damals, was den Alkohol betrifft, einen denkbar üblen Ruf. Der feinsinnige italienische Kardinal Cajetan berichtet vom Augsburger Reichstag maliziös, mit den deutschen Fürsten könne man nur bis gegen Mittag verhandeln, danach seien alle völlig betrunken. Die Inquisition, die zu überprüfen hatte, ob hier dem heiligen Geschehen Unangemessenes hinzugefügt sei, wies die Klage ab. Nach ihrer Auffassung wären also betrunkene Deutsche beim Gastmahl des Levi durchaus denkbar gewesen – wenn es damals schon Deutsche gegeben hätte.
Der heidnische Philosoph Diogenes, der in einer Tonne lebte und im Umgang mit den Bedürfnissen die raffinierte Auffassung vertrat, Frustrationen könne man am ehesten vermeiden, wenn man die Bedürfnisse vermeide, hätte solche Ausflüge in ganz materielle Bedürfnisbefriedigung radikal abgelehnt. Er lebte autonom und stolz in seiner Tonne, wollte von niemandem etwas und behauptete, auf diese Weise glücklich zu sein. Gesundheit war kein Thema für ihn, seinen Körper ließ er verrotten, so dass er erbärmlich stank. Ihn störte das nicht, weil er sich daran gewöhnt hatte. Dass es andere störte, störte ihn auch nicht, da er es sich systematisch abgewöhnt hatte, sich an anderen zu stören. Zwar gab es auch viele christliche Asketen, aber das sah erheblich anders aus. Nicht dem persönlichen Stolz durften ihre Fastenübungen dienen, sondern sie waren Zeichen einer Freiheit, die der Glaube schenkte, in einer Gemeinschaft und für eine Gemeinschaft. Und sie mussten Maß halten, die Asketen, da der Körper nicht geschädigt werden durfte. Mit einem Wort, christliche Askese durfte nie zynisch werden. Diogenes war einer der Erfinder des Kynismus, des philosophischen Zynismus, der die Freiheit durch Gleichgültigkeit gegenüber allem lehrte. Für die Christen des frühen Mittelalters war sie dagegen die größte Sünde, die Gleichgültigkeit, die acedia. Selbst der Mord geschieht ja letztlich aus Gleichgültigkeit gegenüber dem Leben eines Menschen. Gleichgültigkeit ist die Abwesenheit der Gottes- und Nächstenliebe, des höchsten Gebotes der Christen. Wem alles gleichgültig ist, der wird aber auch nie erfahren, was eigentlich Lebenslust ist.
II. Die Erfindung gesunder Ganzheitlichkeit
Der Mensch gewordene Sohn Gottes, der, wie die Christen glauben, »Fleisch angenommen hat aus der Jungfrau Maria«, hat keine reinen Geistwunder gewirkt oder bloß innere Einsichten vermittelt. Nicht nur, dass er sogar körperlich mit seinem Leben für seine Botschaft eintrat, die Botschaft selbst war immer auch körperlich. Die zentrale Botschaft der Bergpredigt – »liebet eure Feinde, tut Gutes denen, die euch hassen …« – steht in engem Zusammenhang mit der wunderbaren Brotvermehrung. Mit Worten und mit leiblicher Nahrung sollen die Menschen gesättigt werden. Auch die Heilungswunder Jesu waren keine mirakulösen Zauberkunststücke. Sie standen immer im Dienst einer Botschaft oder sogar noch mehr. Die Heilungswunder Jesu waren eine Botschaft: dass die Erlösung, von der Jesus immer wieder sprach, ganzheitlich war und also auch den Leib betraf. Erst sagt Jesus zu dem Gelähmten: »Deine Sünden sind dir vergeben!«, und dann: »Steh auf, nimm dein Bett und geh!« Das wirklich ganzheitliche Heil isoliert also im christlichen Sinne weder den Geist noch den Leib, es umfasst beides. Und sogar die Mission, zu der Jesus seine Apostel aussendet, ist ganzheitlich: »Er sandte sie aus, die Herrschaft Gottes zu verkünden und die Kranken zu heilen« (Lukas 9,2). Mission bedeutete nicht, geschwätzig durch die Lande zu ziehen, Mission war ein Ereignis.
Dabei ist jedem Missverständnis als magische Manipulation von vornherein der Riegel
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